Psychedelika als Medizin – Experteninterview mit Dr. Henrik Jungaberle im Psych Report 2021

Seit der Jahrhundertwende ist die Erforschung von Psychedelika als Arzneimittel wieder in vollem Gange. Im Jahr 2021 veröffentlichte MAPS die ersten Ergebnisse ihrer klinischen Phase-IIIa-Studie zur Behandlung von PTBS mit MDMA-gestützter Psychotherapie, und COMPASS Pathways schloss seine Phase-IIb-Studie zur Wirksamkeit von Psilocybin bei behandlungsresistenten Depressionen ab. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Hindernisse, die einer breiten Verfügbarkeit von Psychedelika im Wege stehen, wenn sich Unternehmen für die Behandlung von Patienten mit psychedelisch unterstützter Psychotherapie positionieren?


Ich glaube, dass der letzte Teil der Reise der schwierigste sein wird. Von Phase II bis Phase III und auch alles, was nach Phase III passieren wird, wenn die Unternehmen mit den Aufsichtsbehörden verhandeln. Zu diesem Zeitpunkt werden die Behörden über Strategien zur Risikominderung (z.B. REMS-Kriterien) sprechen und die Kriterien für die Anwendung der neuen psychedelischen Arzneimittel dann festlegen. Dies ist die Herausforderung, der sich MAPS, COMPASS Pathways und alle jene, die versuchen, die Zulassung von Psychedelika als Arzneimittel zu erreichen, bald stellen müssen.

Der zweite Engpass oder die zweite Herausforderung, die ich sehe, ist die Ausbildung von psychedelischen Therapeuten. Rick Doblin von MAPS sagte kürzlich, dass er 24.000 Therapeuten ausbilden möchte. Ich denke, dass die Strategie oder das Ziel, viele Therapeuten in einem sehr kurzen Zeitrahmen auszubilden, nicht nur für MAPS, sondern für den gesamten Bereich eine große Herausforderung darstellen könnte. Ich hoffe, dass wir in der Lage sein werden, die Qualität der Ausbildung hoch zu halten, denn es könnte einen großen Rückschlag geben, wenn wir irgendwann zur Umsetzung bei “echten” Patienten (außerhalb von Studien) und zu Phase-IV-Studien kommen. Diese dienen dem Zweck einer weiteren Risiko-Nutzen-Bewertung in größeren Patientenkollektiven und/oder speziellen Patientengruppen. Damit soll dann die therapeutische Bedeutung von psychedelisch-augmentierten Therapien mit praktischer Relevanz in “naturalistischen Umgebungen” zu bestimmen. So kann festgestellt werden, ob ein Medikament in dem Bereich, für den es zugelassen wurde, tatsächlich sein Versprechen erfüllt.

Wenn wir viele unzuverlässige Therapeuten ausbilden würden, die fälschlicherweise glauben, die psychedelische Therapie bestehe darin, einer Person eine Droge zu verabreichen oder zu “trippen”, könnte der gesamte Implementationsprozess entgleisen. Um dies zu vermeiden, müssen wir sicherstellen, dass die Aus- und Weiterbildung von hoher Qualität ist und dass wir die Fähigkeiten der Therapeuten richtig einschätzen, bevor sie an einer Weiterbildung teilnehmen, insbesondere bevor sie kurze Online-Trainingsprogramme absolvieren. Ich persönlich bin skeptisch, dass solche reinen Online-Kurse den Menschen die Fähigkeiten vermitteln werden, die sie als Teil der ersten Generation moderner psychedelischer Therapeuten benötigen.

Um Psychedelika in das Gesundheitssystem zu bringen, müssen Therapeuten für die neuen Therapieformen geschult werden. Wie können wir Ihrer Meinung nach diese Therapeuten ausbilden, und welche Art von Ausbildung brauchen sie? Die MIND Foundation bildet Therapeuten im Rahmen ihres Augmented Psychotherapy Training (APT) weiter. Können Sie dieses zweijährige Programm näher erläutern und angeben, welche Fähigkeiten die Therapeuten erwerben werden?

Die MIND Foundation hat in den letzten Monaten hart daran gearbeitet, ein Curriculum zu erstellen, das sich von dem unterscheidet, was wir derzeit in diesem Bereich sehen. Das APT Curriculum ist ein zweijähriges, 400 Stunden umfassendes Weiterbildungsprogramm für Ärzte und Psychotherapeuten. Unser Konzept sah vor, zunächst die Langversion des Lehrplans zu erstellen und dann eine und eine fünftägige Intensivversion der Schulung zu entwickeln.

Wir betrachten die psychedelisch-assistierte Therapie als Psychotherapie – nicht als etwas “Einmaliges” und “Exeptionelles” oder “Mysteriöses”. Es geht in der Weiterbildung um die Einbettung in den psychosozialen Versorgungskontext, das Screening und die Behandlungsplanung, die Vorbereitungssitzungen, die Dosierungssitzung, die Nachsorge-/Integrations- und Follow-up-Aktivitäten. Alle Therapiesitzungen sind wichtig, es handelt sich nicht um eine Art Zauberpillen-Therapie (“Magic bullet”-Ansatz) oder psychedelische Pharmakotherapie mit ein wenig “Vorbereitung” und “Integration”.

Die APT-Weiterbildung befasst sich vielmehr damit, wie der Psychotherapieprozess intensiviert, erweitert oder manchmal auch beschleunigt werden kann. Wir bilden Menschen dazu aus, entweder zertifizierte Psychedelische Therapeuten oder Co-Therapeuten zu werden, die mit anderen, nicht-psychedelisch arbeitenden Klinikern in einem kohärenten Team zusammenarbeiten können. Neben der Kernzielgruppe Mediziner und Psychotherapeuten kommen einige dieser Therapeuten aus einem breiten Spektrum alternativ ausgebildeter Disziplinen.

Andere Dinge zeichnen unser Weiterbildungsprogramm besonders aus. Erstens glauben wir an die Qualifizierung von Therapeuten zu Teamplayern, also Teams, in denen Ärzte und Psychotherapeuten eng zusammenarbeiten. Zweitens schulen wir die Menschen auch in nicht-pharmakologischen Methoden und für die Anwendung atypischer Psychedelika wie Ketamin – genauso wie für serotonerge Psychedelika wie Psilocybin. Wir wollen, dass die Therapeuten mit einer breiten Medikamentenpalette und einem breit gefächerten Instrumentarium zur Bewusstseinsveränderung vertraut sind. Das von uns entwickelte Training basiert auf dem Konzept der Outcome-based Education (OBE). Wir haben 13 Outcomes formuliert, die durch eine Fülle von detaillierten Lernzielen noch genauer spezifiziert werden. Es fließen außerdem Techniken wie die Arbeit mit Patientenschauspielern, Mentoring/Supervision, ausführliche Fallbesprechungen und Achtsamkeitsmeditation ein.

Das wichtigste Merkmal von APT ist dessen starke Ausrichtung auf die Integration psychedelischer Erfahrung. Das Curriculum und der gesamte therapeutische Prozess basieren nicht nur auf den neuesten Therapiemodellen wie beispielsweise der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT). Wir wenden eine integrative Psychotherapietheorie an und lehren das Modell der sogenannten allgemeinen Wirkmechanismen, wie sie sich in der Psychotherapieforschung der letzten 50 Jahre als gültig erwiesen haben. Dies sind beispielsweise die älteren Arbeiten von Jerome Frank in den USA, aber viel mehr noch die Forschung der Gruppen um Howard und Orlinsky und Klaus Grawe, einem deutsch-schweizerischen Psychotherapieforscher, der an der Universität Basel tätig war. Er hat gezeigt, dass es unabhängig von bestimmten Therapieschulen fünf gemeinsame Faktoren gibt, die wirksamen Psychotherapien zugrunde liegen, und dies ist die theoretische Grundlage, auf der wir die APT-Ausbildung aufbauen.

Ihr jüngstes wissenschaftliches Paper haben Sie gemeinsam mit Prof. Dr. med. Gerhard Gründer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim/Universität Heidelberg veröffentlicht. Es trägt den Titel “Die mögliche Rolle psychedelischer Substanzen in der psychiatrischen Versorgung der Zukunft”. Sie beschreiben verschiedene Aspekte, die für die Integration psychedelischer Substanzen in die psychiatrische Versorgung erforderlich sind. Können Sie die Rolle des Screenings in diesem Prozess näher erläutern? Werden Psychedelika für die meisten Patienten verfügbar sein oder nur für eine kleine Gruppe?

In unserem Papier beschreiben wir ein sechsstufiges Modell (siehe die Grafik oben), nicht nur die drei bekanntesten – Vorbereitung, Dosierung und Integration. Wenn man sich ansieht, wie die Dinge in der realen Therapie innerhalb des psychiatrisch-psychotherapeutischen Sektors eines Gesundheitssystems ablaufen, wird es etwas komplexer. Bevor ein Patient zum Beispiel in eine unserer eigenen OVID Kliniken wie der in Berlin kommt, haben die ersten beiden Schritte bereits stattgefunden, denn viele unserer Patienten werden von anderen Ärzten oder Psychotherapeuten überwiesen oder von anderen Patienten vermittelt.

Künftige psychedelisch-arbeitende Therapeuten werden Überweisungssysteme aufbauen und nicht-psychedelische Therapeuten schulen müssen, damit sie wissen, wen sie schicken können und wen nicht. Und nach dem Ende einer psychedelischen Therapie werden einige Patienten immer noch vulnerabel sein und einige werden Rückschläge erleiden, so dass ein nicht-psychedelischer Psychotherapeut die Therapie fortsetzen oder eine stabilisierende Rolle übernehmen muss. Denn es ist einfach nicht die Realität, dass alle Menschen auf “magische Weise” nach einer Therapie mit Psychedelika für immer gesund werden.

Dies alles in Betracht ziehend wollen wir dennoch eine große Gruppe von Patienten erreichen. Aber das Erreichen einer großen Zahl von Patient:innen ohne den richtigen Ansatz könnte gravierende negative Folgen haben, und das will niemand. Qualitative hochwertige Screening-Verfahren stellen sicher, dass wir eine große Gruppe erreichen, aber auch, dass die Behandlungen erfolgreich sind.

Unsere Erfahrung bei OVID, der klinischen Schwesterorganisation der MIND Foundation, die derzeit Ketamin- und Atemtherapie-gestützte Psychotherapie anbietet, ist, dass die Ablehnung ungeeigneter Patienten das Vertrauen in unserem Überweisungssystem stärkt. Durch ein gutes Screening-Verfahren wissen die überweisenden Ärzte, dass wir nicht nur dazu da sind, “Drogen” in den Organismus eines Menschen zu bringen und zu hoffen, dass sie auf neurobiologische – oder eben “magische” – Weise “automatisch” wirken. Psychedelika können sehr hilfreich sein, aber Ärzte und Therapeuten müssen wirklich den Kontext für deren nachhaltige therapeutische Wirkung herstellen und die langfristige Perspektive der Patienten berücksichtigen.

Wir wissen jedoch noch nicht, ob psychedelische Therapien die Behandlungsprozesse beschleunigen. Das zeigen die Studien trotz seit Jahrzehnten geäußerten Hoffnungen noch nicht. Das wird das Terrain der Therapievergleichsstudien und der Phase IV-Studien sein. Aktuelle Studien zeigen, dass Psilocybin bei einem größeren Teil der Studienteilnehmer:innen sehr wirksam war und dass die Wirkung einige Monate anhält, aber nicht bei allen Patient:innen. Auf der Grundlage unserer psychiatrischen und psychotherapeutischen Erfahrung glauben wir, dass psychedelische Therapeuten und Psychotherapeuten bei der Behandlung weitgehend eine gleiche Rolle spielen. Jenseits der Praxis des Therapeuten verbinden beide die Patienten mit einem sozialen Ökosystem, das ihnen hilft, gesund zu werden.

Die psychedelisch-assistierte Therapie (PAT) hat in ersten klinischen Studien erstaunliche Ergebnisse gezeigt. Einige Folgestudien haben bei einer kleinen Zahl von Patient:innen bis zu fünf Jahre später anhaltende positive Auswirkungen festgestellt. Gleichzeitig wurden in anderen Studien, vor allem mit Ketamin, akute positive Wirkungen festgestellt, die jedoch innerhalb des ersten Monats wieder zu verschwinden scheinen. Glauben Sie, dass Psychedelika etwas sind, das eine Person mit einer psychischen Störung in regelmäßigen Abständen einnehmen sollte, oder ist es eine einmalige Behandlung und damit erledigt?

Dies ist eine der äußerst spannenden Komponenten von PAT, die noch viel mehr herausgearbeitet und untersucht werden müssen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass eine Reihe von Patienten sich von Zeit zu Zeit erneut einer psychedelischen Therapie unterziehen müssen. Die Phase-IV-Studien werden zeigen, wer in welchen Abständen wiederkommen muss. Die Menschen werden aber auch aus unterschiedlichen Gründen wieder kommen müssen oder wollen, wobei Psychopathologie und Selbstentfaltung zwei ganz unterschiedliche Szenarien sind.

Ein Patient, der seit 30 Jahren mit Depressionen zu kämpfen hat, kann nach ein oder zwei psychedelischen Sitzungen eine große Erleichterung erfahren, wie unsere Kollegen in der deutschen EPIsoDE-Studie (Efficacy and Safety of Psilocybin in Treatment-Resistant Depression in Mannheim und Berlin mit 144 Patienten) bereits zu sehen beginnen. Aber das sie umgebende psychosoziale System, das ihre Pathologien stabilisiert, wird nicht einfach für alle verschwinden. Bei vielen Patienten kann es sein, dass wir weitere Sitzungen, zwei oder mehr pro Jahr benötigen.

Bei der Selbstentfaltung, dem persönlichen Wachstum, befinden wir uns in einem noch früheren Stadium. Die MIND Foundation hat begonnen, Gespräche mit Zulassungsbehörden und Politikern zu führen. Welche Rechtssysteme, rechtlichen Regelungen oder Architekturen müssen rund um den Konsum von Psychedelika für gesunde Menschen geschaffen werden? In der Medizin gibt es den Begriff “Prophylaxe”, d. h. eine Behandlung oder Maßnahme zur Vorbeugung von Krankheiten. Ein Teil dieser Selbstentfaltungs-Prozesse könnte als Prophylaxe angesehen werden, wobei die psychedelische Therapie zur Persönlichkeitsentwicklung die Verschlechterung der psychischen Gesundheit verhindern sollte und könnte. Die Erforschung des Konsums von Psychedelika zum Zwecke des persönlichen Wachstums und der Selbsterkenntnis sollte in den kommenden Jahren ebenfalls Teil der Forschungsinteressen werden.

OVID, die Schwesterorganisation von MIND, bietet eine Augmentierte Psychotherapie an, d. h. man kann die Psychotherapie entweder mit nicht-pharmazeutischen Methoden oder mit Ketamin und in Zukunft auch mit anderen Psychedelika ergänzen. Wird diese Behandlung derzeit von den Krankenversicherungen unterstützt? Welche Nachweise sind Ihrer Meinung nach erforderlich, damit die Krankenversicherer für diese Behandlungen zahlen?

Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen derzeit nicht für PAT in Deutschland, aber wir haben einige private Krankenversicherungen, die damit begonnen haben, die Behandlung zu erstatten, was bereits ein großer Fortschritt ist. Die Wirksamkeit von PAT wurde weder in Deutschland noch in vielen anderen Ländern jemals nachgewiesen, so dass wir diese Daten liefern müssen, damit die Versicherer die Kosten für PAT rechtfertigen können. Auf diese Weise stehen die Behandlungen dann nicht mehr nur denjenigen zur Verfügung, die es sich leisten können, sie selbst zu bezahlen, oder die in die Diversity-Programme der MIND Foundation (zur Kostenreduktion) aufgenommen werden können.

Wir müssen nicht nur zeigen, dass die PAT einen leichten Vorteil gegenüber der Gesprächstherapie hat, sondern auch, dass sie besser ist als z. B. die Elektrokrampftherapie (EKT) – denn damit wird sie ja auch verglichen. Das ist die Realität des medizinischen Systems, und wir müssen direkte Vergleichsstudien mit den derzeitigen Goldstandards, wie EKT, Verhaltenstherapie und Antidepressiva, durchführen.

Langfristig müssen wir diese Therapien jedoch in die öffentlichen Gesundheitssysteme integrieren, damit die Menschen Zugang zu ihnen haben. Dies ist in der EU anders als in den Vereinigten Staaten. Hier in Deutschland, in den Niederlanden, in der Schweiz und in den Mittelmeerländern müssen wir dafür sorgen, dass sie von den öffentlichen Gesundheitssystemen abgedeckt wird. Wir müssen mit Versicherern und Vertretern des öffentlichen Gesundheitswesens sprechen und von anderen Experten lernen, um diese Studien so zu gestalten, dass sie auch wirklich gut durchgeführt werden.

Ihr Kollege Prof. Dr. med. Gerhard Gründer leitet die Phase-IIb-Studie “Efficacy and Safety of Psilocybin in Treatment-Resistant Depression (EPIsoDE)”, die von der deutschen Regierung mit mehr als 2 Millionen Euro gefördert wurde. Warum ist es notwendig, diese Studie durchzuführen, wenn andere wie COMPASS Pathways und das Usona-Institut ähnliche Studien durchführen?

Die EPIsoDE-Studie dient mehreren gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Zielen. Unsere Studie ist insofern einzigartig, als sie zwei 25-mg-Dosen Psilocybin vorsieht und im Vergleich zu zwei verschiedenen Placebos getestet wird. Dies wird uns beispielsweise auch bessere Informationen darüber geben, welches Placebo wir in künftigen Studien am besten verwenden können.

Wir werden außerdem unsere MIND- und OVID-Mitarbeiter mit dieser Studie schulen, sie auf die Arbeit an Studien mit anderen Psychedelika oder psychischen Störungen vorbereiten und sie in die APT-Weiterbildung für künftige psychedelische Therapeuten einbeziehen. Wir haben noch nicht öffentlich darüber gesprochen, aber wir verhandeln derzeit über eine Zusammenarbeit zwischen OVID und Universitäten, um zukünftige Studien gemeinsam durchzuführen.

Wir wollen auch das deutsche medizinische und psychotherapeutische System dafür sensibilisieren, dass diese Art von Therapie innerhalb des Systems sicher durchgeführt werden kann. Es gibt viele Widerstände, und wenn man sie überwinden will, muss man das in der EU auf Länderebene tun. Wir kennen einige beeindruckende Ergebnisse US-amerikanischer und multinationaler Studien, aber ihre Ergebnisse sind noch weitgehend auf die “psychedelische Blase” beschränkt und werden von den meisten Psychiatern und Psychotherapeuten nicht anerkannt. Entweder wissen die Experten nichts davon oder sie nehmen die bisherigen Studien nicht ernst. Wenn man den Patient:innen neuartige Behandlungen anbieten will, muss man diejenigen überzeugen, die im traditionellen System arbeiten.

Dies führt uns zurück zu dem sechsstufigen Prozess rund um psychedelische Therapien, über den wir bereits gesprochen haben (Abbildung 1). Das Zuweisersystem muss informiert werden. Bei OVID veranstalten wir monatliche Treffen für Kolleg:innen aus Berlin und der ganzen Welt, online und vor Ort. Kollegen in den USA und Kanada, wo Ketamin-Kliniken bereits weiter verbreitet sind, scheinen immer noch auf große Widerstände zu stoßen, und medizinische Fachkräfte überweisen Patienten noch nicht in großem Umfang für diese Art von Therapien.

In der Blossom-Umfrage, über die weiter oben berichtet wurde, wussten 65 % der Teilnehmer, dass Psychedelika zur Behandlung psychischer Erkrankungen eingesetzt werden. Das ist schon eine erstaunliche Zahl, gleichzeitig ist viel mehr Aufklärung nötig. Können Sie aufzeigen, wie die MIND Foundation und OVID diese Rolle ausfüllen?

Wir befinden uns derzeit im fünften Jahr des Bestehens der MIND Foundation und im zweiten Jahr von OVID. In diesen ersten fünf Jahren hat sich MIND sehr stark auf das akademische System konzentriert. Inzwischen haben wir zehn Programme entwickelt, die dazu beitragen, alle Beteiligten – von etablierten Forschern über Therapeuten bis hin zu Studierenden und Nachwuchswissenschaftler:innen – zu schulen und zu vernetzen. In den nächsten fünf Jahren wird der Schwerpunkt darauf liegen, Impact zu erzielen, also das akademische Wissen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen, damit die Menschen über die Informationen verfügen, die sie benötigen, um eine kritische Bewertung psychedelischer Behandlungen vornehmen zu können.

Unsere Bildungs- und Selbstentfaltungsprogramme wie Footsteps und BEYOND EXPERIENCE helfen einem breiteren Publikum, ein Verständnis für veränderte Bewusstseinszustände und deren Integration zu erlangen und zu verstehen, wie sie diese veränderten Bewusstseinszustände nutzen können, um ihr Leben zu verbessern. Wir wollen diese Programme stark ausweiten, indem wir mehr Trainer ausbilden, die dabei helfen, den Wechsel in und aus veränderten Bewusstseinszuständen zu normalisieren und in einen Rahmen von Integration zu integrieren.

Außerdem werden wir in diesem Jahr auf der INSIGHT Konferenz, unserer zweijährig stattfindenden Konferenz zur psychedelischen Forschung und Therapie, sowie später im Jahr, anlässlich des fünften Jahrestages von MIND, mehrere Preise verleihen. Ziel ist es, die Bewusstheit für die Leistungen der psychedelischen Forschung und Anerkennung für junge und ältere Pioniere auf diesem Gebiet zu schaffen. Und um ihnen zu helfen, in der breiteren wissenschaftlichen Gemeinschaft ernst genommen zu werden. Dies ist auch der Grund, warum wir dotierte Preise vergeben. Der MIND Foundation Award ist mit 4.000 € dotiert, und der Willy Schweitzer Young Researchers Award ist dank großzügiger Spender mit 1.000 € dotiert.

Schließlich ist es unser Ziel, die klinische Perspektive von einem drogenzentrierten Modell, das auch im psychedelischen Bereich sehr verbreitet ist und das Narrativ der “magischen Pille” beinhaltet, zu einem integrationszentrierten Modell zu ändern. Bei der Integration geht es darum, Erfahrungen in Verhaltensweisen zu überführen, die mit Gesundheit und Lebensglück zu tun haben. Es geht es darum, ein besseres Leben jenseits veränderter Bewusstseinszustände zu schaffen, so dass diese nicht dauerhaft und wiederholt aufgesucht werden müssen. Als Feld von Therapeuten und Wissenschaftlern sind wir noch nicht so weit, aber wenn wir uns in den nächsten zehn Jahren ein wenig mehr auf die Integration konzentrieren, wird das allen zugute kommen – denen, die Heilung suchen, und denen, die persönlich wachsen wollen.

Wir können das jedoch nicht allein schaffen. Viele Organisationen müssen zusammenarbeiten und das Forschungsfeld in die nächste Generation führen. Nicht nur, indem wir wissenschaftliche Ergebnisse wiederholen, sondern auch, indem wir Wissenschaft in die Praxis umsetzen und unsere ganze Kreativität einsetzen, um eine zeitgemäße, säkulare Spiritualität zu schaffen, die die Menschen dazu einlädt, aus der weit verbreiteten esoterischen Selbstbezogenheit auszusteigen. Auf diese Weise haben wir die Chance, einen Platz für Psychedelika in modernen Gesellschaften zu schaffen.

17. Oktober 2021

HABEN PSYCHEDELIKA WIRKLICH EIN POTENTIAL, DAS GESUNDHEITSWESEN ZU VERÄNDERN? WENN JA, WIE?

Der “Psychedelika als Medizin-Report: Dritte Ausgabe” ist ein Branchenbericht. Es beschreibt sich selbst als “eine erstklassige Business-to-Business Medien- und Inhaltsplattform für die psychedelische Wissenschafts- und Gesundheitsbranche. Teil von Psych Capital Plc.”. Als solcher gibt der Bericht an, “Verbraucherwissen und Marktinformationen von Experten und Branchenführern zu sammeln, um Anlegern zu helfen, den Nebel zu durchbrechen und echte Chancen zu erkennen”.
Dr. Henrik Jungaberle wurde für diesen Bericht von Floris Wolswijk interviewt. Henrik ist nicht Teil von “Psych Capital Plc” und wurde von keiner der Parteien, die den Psych Bericht produziert oder gesponsert haben, für dieses Interview bezahlt. Die in diesem Interview geäußerten Ansichten sind seine eigenen.