Medizin der Wechselwirkungen – Was die moderne Medizin aus ihrer historischen Begegnung mit dem “thierischen Magnetismus” lernen könnte (Franz Anton Mesmer 1734 – 1815)
Einleitung
„ … dass Gott dem menschlichen Unverstande die Seherkraft verlieh, dafür dient zu einem ausreichenden Belege, dass niemand mit Überlegung die gottbegeisterte und wahrhafte Seherkraft übt, sondern entweder,
indem der Schlaf die Kraft seines Nachdenkens fesselt, oder vermöge eines Fiebers,
oder einer durch Verzückung erfolgten Umwandlung.“
Platon, Timaios zitiert nach M.R. Roda 1990
Wer sich mit Person, Werk und Wirkgeschichte Franz Anton Mesmers beschäftigt steht vor der Schwierigkeit, mit einer Persönlichkeit konfrontiert zu sein, die in ihrem Facettenreichtum schwerlich in ein einheitliches Bild zu zwingen ist. Mesmer scheint sich diesem Versuch ihn zu greifen leichtfüssig, gleich einem seiner vielbeschworenen Fluida, zu entziehen.
Franz Anton Mesmer gab Anstösse für die unterschiedlichsten Disziplinen und Topoi. Als Beispiele seien hier genannt: die Entwicklung der Anästhesie, der Psychiatrie, der Psychosomatik, des Hypnotismus und der Psychotherapie. – Für die soziologische Herausbildung letzterer ist sein unbeabsichtigter Einfluß nicht zu unterschätzen. Darüber hinaus jedoch wirkten seine Lehren auf den Gebieten der Parapsychologie, des Spiritismus, der über Amerika nach Europa zurückkehrte, des Geistheilens, der Bühnenhypnose sowie auf umfangreiche Weise in der Literaturgeschichte, vor allem der deutschen Romantik.
Des weiteren war Mesmer jedoch auch ein radikaldemokratischer Politiker, der unter anderem eine republikanische Verfassung für die Schweiz vorlegte, welche sich mit Hilfe Napoleons gerade aus überkommenen feudalistischen Strukturen löste. Seine mesmeristische Bewegung schloß im Paris vor dem Umsturz von 1789 so illustre Namen ein wie Lafayette und Brissot.
Mesmers Lehre wäre auch unter der kulturgeschichtlich und philosophisch interessanten Dichotomie von Bewusstsein und Natursein (Cho 1987) zu betrachten, was im Rahmen dieser Hausarbeit nicht möglich ist.
So soll vor allem folgenden Fragen nachgegangen werden:
- Wie war das philosophisch-medizinische System beschaffen, das Franz Anton Mesmer im Laufe seines Lebens geschaffen und ausgebaut hat? (Mesmers Behandlungstheorie)
- Wie hat Mesmer seine Patienten behandelt und wie taten dies seine direkten Schüler und Nachfolger? (Mesmers Behandlungsmethode)
- Wie ist die Rolle Mesmers in dem Prozess einzuschätzen, den man ‘medizinische Aufklärung’ nennt? (War Mesmer ein ‘Aufklärer oder ein Reaktionär’?)
Um diese Fragen beantworten zu können, scheint es zunächst nötig, Mesmers Biographie nachzuzeichnen (Kapitel 1). Aus dessen unsteter europäischer Vita beantworten sich auch einige der Fragen, die sich etwa zu Mesmers Rolle als politischem Zeitgenossen stellen. Dieser politisch-kulturelle Aspekt wiederum war für die Rezeption des Mesmerismus von entscheidender Bedeutung.
In Kapitel 2.1. wird dann Mesmers Theorie des Animalischen Magnetismus erläutert, worauf der Versuch folgt nachzuzeichnen, was in einer ‘magnetischen Cur’ denn nun geschah (Kapitel 2.2).
Im 3. Kapitel wird diskutiert, ob Mesmer als Aufklärer zu betrachten ist. Kapitel 4 schließt mit der Besprechung einiger Konsequenzen, die Mesmers System und Handeln medizingeschichtlich zeitigte.
1. Die Entstehung des Mesmerismus: eine europäische Vita
“Wer war nun dieser Mann, der nach Schopenhauers sicherlich übertriebenem Urteil, die „inhaltsschwerste aller jemals gemachten Entdeckungen“ (1851)”
(zitiert in Florey 1988) vollbracht hat?
Bis vor wenigen Jahren war Franz Anton Mesmer lediglich einem Kreis von medizinhistorisch Interessierten sowie jenen bekannt, die die Geschichte der Psychotherapie, respektive des Hypnotismus zurückverfolgten (vgl. Florey 1995; Ellenberger 1996). Seit Mitte der siebziger, also in etwa mit der Veröffentlichung von Ellenbergers monumentalem Werk über die ‘Entdeckung des Unbewussten’ (a.a.O.) ist eine wachsende Zahl an Publikationen zu Mesmers Leben, Werk und Wirkgeschichte festzustellen.
Mesmers biographischen Werdegang nachzuvollziehen, bedeutet, ihn als Cosmopolit des 18. Jahrhunderts auszuweisen, der über hohe gesellschaftliche Verbindungen verfügte, als Mitglied ehrwürdiger Institutionen wie der Wiener Fakultät und der Bayrischen Akademie der Wissenschaften sowie als Neugründer illusterer Geheimgesellschaften wie der Sociétés de l’Harmonie. Doch Mesmer war zudem auch Musiker und Verfasser politischer Traktate.
Franz Anton Mesmer wurde 1734 in Iznang am Bodensee geboren, einem kleinen Dorf in der Nähe von Radolfszell am Bodensee. Er war das dritte von insgesamt acht Kindern. Sein Vater Anton stand als fürstbischöflicher Venator (Jagdaufseher) in Diensten des Fürstbischofs von Konstanz, er wurde 1701 im heutigen Konstanzer Stadtteil Wollmatingen geboren.
Nach dem Besuch der heimatlichen Dorfschule sowie Musik- und Lateinunterricht bei Franziskanermönchen siedelte die Familie Mesmers nach Ittendorf um, und Franz Anton besuchte das Konstanzer Jesuitenkollegium. 1752 ist seine Aufnahme ins Gymnasium Dillingen und 1754 der Beginn eines Theologiestudiums an der dortigen Jesuitenuniversität dokumentiert – beides als Stipendiat des Fürstbischofs. Das Bischofstum Konstanz war zu jener Zeit von ansehnlicher Größe, es reichte bis über Freiburg hinaus, während das Fürstentum als eigener Staat nur von geringem Umfang war.
Mesmer wurde schon zu jener Zeit mit grundlegenden natur- und geisteswissenschaftlichen Schriften jener Zeit vertraut, denn obgleich man von ihm den Weg des Theologen erwartete, war die Dillinger Universität für ihre naturwissenschaftliche Bibliothek berühmt. Es wurde nachgewiesen, dass Mesmer damals zumindest die Chance hatte grundlegendes Wissen seiner Zeit über den (physikalischen) Magnetismus zu erwerben sowie die Werke Athanasius Kirchherrs (1601 – 1680) zu studieren, eines der letzten großen ‘Universalgelehrten’, in dessen Schriften ebenfalls von den Wirkkräften des Magnetismus zu lesen ist. Nicht nur dies: der Jesuit Kirchherr kann als Erfinder des Begriffes vom Animalischen Magnetismus gelten. So ist in seinem Buch Magnes sive de arte magnetica von 1643 ein Abschnitt mit De Magnetismo Animalium tituliert (Florey 1995, p. 24).
Am 3. November 1754 ist Mesmers Immatrikulation an der bayrischen Landesuniversität von Ingoldstadt dokumentiert. Nachdem er im ersten Jahr noch Theologie und kanonisches Recht studiert hatte, wechselte Mesmer nun sein Studienfach. Der Arzt Karl Christian Wolfart (1778 -1832), welcher 1814 Mesmers Alterwerk herausgab berichtet, wie Mesmer ihm erzählte, er habe zu jener Zeit Rechtswissenschaft, Mathematik, Physik sowie die ‘älteren Sprachen’ studiert. Nicht belegt, doch oft vermutet, ist eine Promotion Mesmers zum Dr. phil. in jener Ingoldstadter Zeit.
1759 zieht Mesmer nach Wien und nimmt das Studium der Medizin auf. Noch immer gefördert von seinem Gönner, dem Fürstbischof von Konstanz, gelingt es Mesmer in Wien die Bekanntschaft herausragender Mediziner der Zeit zu machen. So zählten zu seinen Lehrern und persönlichen Bekannten die Boerhaave-Schüler Gerhard van Swieten (1700 – 1772) und Anton de Haen (1704 – 1776), beide Repräsentanten der ‘Wiener Schule’ des 18. Jahrhunderts sowie Anton von Stoerck (1731 – 1803). Mesmers Bruder Josef Conrad zog zur selben Zeit wie Mesmer in die österreichische Metropole und Schreiblehrer der Maria Antonia, die als spätere französische Königin Marie Antoinette in Mesmers Biographie noch eine entscheidende Rolle spielen sollte (Florey 1995, p. 29).
Nachdem Mesmer 1766 zum Dr. med. promovierte, erhält er schon am 19. Oktober 1767 Sitz und Stimme in der Wiener medizinischen Fakultät. Von seiner Dissertation mit dem ungewöhnlichen, aber zu jener Zeit durchaus populären Thema ‘De planetarum influxu’ wird in Kapitel 2 noch die Rede sein.
Durch die Einheirat ins Wiener Großbürgertum 1768 war Mesmer aller finanzieller Sorgen entledigt und konnte sich fortan ein ansehnliches Haus mit Praxis und kleinem Spital, ein Laboratorium und zahlreiche gesellschaftliche Empfänge leisten. Über die Bekanntschaft Mesmers mit der Familie Mozart ist viel berichtet worden. Unter anderem gab Mesmer Wolfgang Amadeus erste Oper ‘Bastien und Bastienne’ in Auftrag, welche im Garten seines Hauses uraufgeführt wurde (Florey 1995, p. 52). Noch in Mozarts ‘Cosi fan tutte’ ertönten bei der Uraufführung 22 Jahre später die Worte: “der Magnetstein soll’s euch beweisen, ihn brauchte einst, der seinen Ursprung nahm aus Teutschlands Gauen und so berühmt ward in Francia” (Florey 1995, p. 52). Leopold Mozart war es der als vertrauenswürdige Referenz für Mesmers eigene musikalische Fähigkeiten gelten darf: neben dem Fagott, der Klarinette und dem Cello war es die Glasharmonika, der Mesmers besonderes Interesse galt, deren Spielfertigkeit er bis zur Meisterschaft entwickelte und die er in späteren Jahren zu Behandlungszwecken eingesetzte. Jenes von Benjamin Franklin (1706 – 1790) erfundene und von der Engländerin Marianne Davis (1744 – 1792) nach Europa gebrachte Instrument mit seinen auf einer Spule sich drehenden Glasscheiben erzeugte einen ätherischen Klang, der die Gemüter der Zuhörer beispiellos erregte und wohl wesentlich zu jenen Wirkungen beitrug, die Mesmer dem fließen des Fluidums zuschrieb.(Florey 1988).
1773 nun geschah etwas außergewöhnliches in Mesmers Praxis: Nachdem er etwa acht Jahre lang ‘konventionell’, d.h. humoralmedizinisch behandelt hatte, traff er auf eine junge Frau, die fortan zu seiner ‘Modellpatientin’ werden sollte (Ellenberger 1996, p. 96). Zu jener Zeit war gerade bekanntgeworden, dass einige englische Ärzte ihre Patienten mit Magneten behandelten und Mesmer experimentierte. Er hatte zunächst die Idee in seiner Patietin ein ‘künstliches Hochwasser’ zu erzeugen. Diese spürte alsbald die Wirkungen ungewöhnlicher Ströme in ihrem Körper, woraufhin all ihre Beschwerden – Mesmer zählt nicht weniger als 15 Symptome auf – für einige Stunden verschwunden waren. Im Juli 1774 schließlich erkannte Mesmer, dass diese Wirkungen unmöglich auf den Magneten allein zurückzuführen seine und auf ein ‘wesentlich anderes Agens’. Die Theorie des animalischen Magnetismus war geboren (Florey 1995; Ellenberger 1996, p. 97). Mesmer selbst beschreibt diese Entdeckung mit einem für das Zeitalter durchaus nicht ungewöhnlichen inspiratorischen Pathos (Blankenburg 1985, p. 68 f.), welches seine dogmatische Haltung zu späteren Zeiten erhellt
Mesmers Entdeckung löste im Wien der Jahre 1774 -1777 eine öffentliche Kontroverse großen Ausmaßes aus. Seiner Wiener Fakultätskollegen, die gerade im Begriff waren die naturwissenschaftliche Medizin zu entdecken und einzuführen, sahen in seinem Konzept und dem starken Zulauf zu Mesmers Praxis eine Bedrohung oder schlichtweg ‘wissenschaftlichen Unsinn’. Ebenso spielten Rivalitäten zwischen Mesmer und seinen akademischen Kollegen sowie persönliche Schwächen seiner Gegner eine große Rolle, die zu verunglimpfen Mesmer in seinen Schriften nicht müde wurde (vgl. u.a. Mesmer 1985 – nach der Ausgabe von 1781, p. 28 ff.). Mesmer bricht in jener Zeit u.a. mit dem bekannten Astronomen und Physiker Maximillian Hell, dem Mitglied der Wiener medizinischen Fakultät Anton von Stoerck und Jan Ingenhousz, dem Entdecker der Photosynthese (Florey 1995, p. 76). Der Frage, wieso Mesmer eine Gefahr für die akademische Medizin des 18. Jahrhunderts darstellen sollte, wird versucht in Kapitel 3 und 4 nachzugehen.
Auf einer Medizin- und religionsgeschichtlich interessanten Reise im Jahre 1774 gelang es Mesmer sein Konzept des ‘animalischen Magnetismus’ erfolgreich als neue, vernünftige und wissenschaftliche Erklärung der ‘Wundertaten’ eines der berühmtesten Männer seiner Zeit anzupreisen. Der katholische Pater Johann Joseph Gassner (1727 – 1779) war einer der letzten großen Exorzisten seiner Zeit. Allein von Juli bis August des Jahres 1774 hatte Gassner im Bodenseekloster Salem 1340 Personen durch Teufelsaustreibung behandelt eine bischöfliche Kommission bestätigte 375 Heilungen und eine Tageszeitung schreib: “Gute Nacht, meine Herren Doctores, wenn nunmehr nur durch Exorzismus kuriert werden kann!” (Florey 1995, p. 86). Mesmer reiste Gassner hinterher, wiederholte einige seiner spektakulären Heilungen – doch im Gegensatz zu jenem lieferte er mit seiner Theorie des animalischen Magnetismus eine modernere Erklärung, die dem Vernunftglauben der Zeit eher entgegenzukommen schien. Mesmers legte seine Theorien über die Heilerfolge Gassners (und seine eigenen) in München vor dem Kurfürsten dar, wurde prompt um die Erstellung eines Gutachtens gebeten und legte vor dem selben sowie Mitgliedern der Bayrischen Akademie der Wissenschaften dar, dass Gassners Kuren keinesfalls auf übernatürliche Kräfte zurückzuführen seien, sondern eben auf die (unwillkürliche) Nutzung des ‘animalischen Magnetismus’. Er überzeugte, wurde in Anerkennung seiner Leistungen zum Akademiemitglied gemacht und bewirkte ein durch Kaiser Joseph II erlassenes Verbot des Exorzismus für das gesamte Römische Reich deutscher Nation. Und Papst Pius VI setzte daraufhin Gassners Schriften auf den kirchlichen Index.
1776 hatte Mesmer in Wien eine zweite wichtige Modellpatientin, die vom Wiener Kaiserhof protegierte blinde Pianistin Maria Theresia Paradis, eine junge Frau, die in ihrem achtzehnjährigen Leben von den angesehensten Ärzten Wiens behandelt und u.a. schon etwa 3000 mal elektrisiert worden war – eine der Modetherapien der Zeit (Ellenberger 1996, p. 99). Glaubwürdig und von mehreren Seiten – u.a. dem eigenen Vater – belegt, kurierte Mesmer sie zeitweise von einer seit dem vierten Lebensjahre an bestandenen Blindheit. Auf lange Sicht jedoch mißlang die Behandlung, Paradis wurde wieder blind und Mesmers Ruf war einem Tiefpunkt angelangt.
1777 reist Franz Anton Mesmer mit einem Empfehlungsschreiben des späteren Staatskanzlers und Außenministers Fürst Kaunitz an den österreichischen Gesandten in Paris Graf Mercy d’Argenteau in die französische Hauptstadt ab. Er läßt eine glühende Anhängerschaft, eine ablehnende, teils spottende aber auch neidische akademische Ärzteschaft und seine Frau in Wien zurück.
Schon in den ersten Monaten des Jahres 1778 lernt Mesmer in Paris Ärzte, Gelehrte und einflußreiche Personen aus vielen Gesellschaftsbereichen und -schichten kennen. Er eröffnet eine Praxis in großzügigsten Räumlichkeiten, (nach zwei Umzügen ab Herbst des Jahres im Hôtel Bullion.) Sein Zulauf ist enorm, er behandelt arm und reich und führt einige revolutionäre Neuerungen ein: u.a. praktiziert er das neue Konzept einer Gruppentherapie, seine Behandlungen werden äußerst zeremoniell durchgeführt und Musik spielt eine wesentliche Rolle. Die Patienten kommen zu ihm: noch immer eine Neuerung in diese Zeit. (Florey 1995, p. 111). Ab 1781 führt er aufgrund großen Andrangs die Behandlung am ‘Baquet’ durch, einer Art Holzzuber mit Eisenstäben, durch welche das magnetische Fluidum verströmen sollte.
Nach Streitigkeiten mit der Pariser Ärzteschaft und Schülern, die eigenständig behandeln wollten, gründet Mesmer 1781 die Société de l’ Harmonie eine Art von Geheimloge, deren Zweck Ausbildung, Weitergabe und zugleich Zurückhaltung des Wissens vor einer nicht-zahlenden ärztlichen Öffentlichkeit war. Robert Darnton hat nachgewiesen, dass diese Sociétés gleichfalls ein Sammelbecken für radikale politische Kräfte und Ausgangspunkt revolutionärer Umtriebe vor und zu Beginn der französischen Revolution waren (1986). Mesmer hatte, quasi als Druckmittel um seine Forderungen gegenüber einflussreichen Kräften des französischen Staates Nachdruck zu verleihen, Paris von 1781 bis 1784 verlassen und seinen Aufenthaltsort hauptsächlich im belgischen Spa gewählt (Florey 1995, p. 153). Dieser ‘Staat’, im Mittelpunkt der Hof um Königin Marie-Antoinette, hatte sich immerhin zu ‘Bleibeverhandlungen’ gezwängt gefühlt, in deren Verlauf Mesmer 20 000 Livres Jahresgehalt und zusätzlich 10 000 Livres für die Anmietung einer Praxis angeboten wurden (a.a.O.1995, p. 144).
1784 ist Mesmer zugleich am Ziel und Ende seiner Bemühungen um akademische Anerkennung: Zwei hochgestellte Kommissionen, Mitglieder der Pariser Akademie der Wissenschaften (unter ihnen der Chemiker A. L. Lavoisier, der Astronom Bailly und Benjamin Franklin) und Vertreter der Ärzteschaft (unter ihnen der Erfinder einer Kopfabtrennmaschine Joseph-Ignace Guillotin), untersuchten unabhängig voneinander den ‘animalischen Magnetismus’ Franz Anton Mesmers, allerdings nicht Mesmer selbst, sondern einen von ihm unerwünschten Nachahmer. Beide Kommissionen kommen aus unterschiedlichen Gründen zu dem Ergebnis: “nullité de magnetism”. Die Kommission der Akademie führte die magnetischen Heilerfolge im wesentlichen auf die Kraft der ‘Imagination’ zurück – eine Interpretation, die modernen Erklärungen Mesmerschen Wirkens, bzw. der Wirkung hypnotischer Effekte sehr nahe kommt.
Nach längeren Reisen u.a. in die Schweiz, an den Bodensee – Mesmer ist noch immer Bürger des Meersburger Fürstentums – und (wahrscheinlich) nach Italien kehrt Mesmer 1788 nach Paris zurück, um auch politisch aktiv zu werden. Die Société de l’ Harmonie waren unter der Führung des Rechtsanwaltes Bergasse unterdessen zu einer Brutstätte revolutionärer Pamphlete geworden (Darnton 1986). Einflussreiche Politiker gehörtern zu Mesmers Anhängern – u.a. Lafayette. Diejenigen seiner Schüler, die Parlamentarier waren, gehörten in der Regel der gemäßigten Partei an – sie fielen nach Ausbruch der Revolution zu einem großen Teil der Guillotine zum Opfer(Florey 1995, p. 162).
Mesmer selbst verbrachte, obwohl er während dieser Jahre viele Auslandsreisen unternahm, den größten Teil der frühen Revolutionszeit in Paris. 1993 floh er dann nach eigenen Angaben in die Schweiz. Es war die Zeit der Guillotine und neben vielen seiner Anhänger wurden auch einige seiner Gegner hingerichtet: u.a. der Chemiker und Gutachter des Jahres 1784 A.L. Lavoisier.
1793 ist ein aufschlussreiches Jahr bezüglich der politischen Aktivitäten von F.A. Mesmer. Ende des Jahres befindet er sich in Wien. Der ‘Reformkaiser’ Joseph II war am 20. Februar 1790 gestorben und hatte seinem weniger aufklärerisch gesinnten Bruder Leopold II Platz gemacht. Dieser wurde schon 1792 unter ungeklärten Umständen von seinem reaktionär gesinnten Sohn Franz II abgelöst. Nachdem Mesmer 1991 – bei einem Wien-Aufenthalt zur Nachlassregelung seiner verstorbenen Frau – den ehemaligen Erzieher Franz II Andreas von Riedel (1748 – 1837) kennengelernt hatte, stand er im Herbst 1993 in intensivem Kontakt zu dessen Kreis von ‘Wiener Jakobinern’. Vom 17.11.93 bis 9.12.93 befand sich Mesmer dann in “abgesonderter Vorhaft” (Florey 1995, p. 181). Anders als die meisten anderen Anhänger des ‘Wiener Jakobinerkreises’ wurde er jedoch nicht hingerichtet, sondern kam wohl aufgrund der Unterstützung einflussreicher Proteges frei. Er reist nach Paris zurück und soll dorthin auch Pläne einer Kriegsmaschine gebracht haben (Florey 1995, p. 183). Als Bürger des Meersburger Fürstentums galt Mesmer während der Kriegszeit nicht als Staatfeind.
Was der zunächst rein heilkundlich angelegte ‘animalische Magnetismus’ mit einem politischen und aufklärerischen Staats- und Politikentwurf zu tun haben sollte, stellt Mesmer selbst in seinem Alterswerk (1814) dar. Im Mittelpunkt stand ein organisch gedachtes Staatskonzept, sein zentraler Begriff war die ‘Harmonie’.
Mesmers Leben in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts ist schwer zu verfolgen. Vielen Reisen folgen ebenso viele dauerhaftere Ortswechsel. Seine Pariser Wohnung behält Mesmer jedoch zumindest bis ins Jahr 1793. Als Mesmer in Wien aus dem Gefängnis entlassen wurde, geschah dies mit der Auflage sich ‘in der Gegend seines Geburtsortes’ niederzulassen. Das Hochstift Konstanz mit dem in Meersburg residierenden Fürstbischof selbst stand jedoch unter dem Einfluss (und der geheimdienstlichen Überwachung) Österreichs. Mesmer siedelt sich wohl deshalb im naheliegenden schweizerischen Thurgau an und erwirbt 1794 das Thurgauische Landrecht. Er lebt bis 1798 in Wagenhausen bei Stein am Rhein.
Wieder verweilt Mesmer ab 1798 in Paris. Im Mittelpunkt seiner Aktivitäten steht jetzt die Rückforderung seines beträchtlichen, durch die Revolution jedoch verloren gegangenen Vermögens, vom französischen Staat. Er hatte Erfolg und ihm wurde die hohe Summe von 3000 fl. jährlich bis zu seinem Tode als Rente zugesprochen: Das entsprach etwa 2,5 Kilo Gold pro Jahr.
1799 verfasst Mesmer eine Rechtfertigung seiner Lehre vom ‘animalischen Magnetismus’. Er kehrt im Jahre 1802 dann ins badisch gewordene Meersburg zurück, hält sich jedoch gleichzeitig ab 1804 eine Wohnung im thurgauischen Frauenfeld. Mesmer praktiziert dort ohne das enorme öffentliche Aufsehen der vorausgegangenen Jahrzehnte seine Heilkunde und hat eine eher stille Anhängerschaft. In weiten Teilen Deutschlands wird er sogar für tod gehalten bis ihn 1810 der Philosoph und Naturforscher Lorenz Oken (1779 – 1851), außerordentlicher Professor an der Medizinischen Fakultät von Jena, ‘wiederentdeckt’. Die preußische Regierung setzt eine Kommission zur ‘Prüfung des Magnetismus’ ein, die von dem Staatsrat und königlichen Leibarzt Christoph Wilhelm Hufeland (1762 – 1836) geleitet wird. Im Auftrag der Kommission reist der Arzt Karl Wolfart zu Mesmer und erhält das größtenteils in französischer Sprache verfasste Manuskript von Mesmers letztem Werk.
1813 zieht Mesmer für kurze Zeit nach Konstanz um sich im Sommer 1814 in Meersburg niederzulassen.
Am 5. März 1815 schließlich stirbt Mesmer in Meersburg, wo ihm die Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte ein marmornes Grabmal errichtet.
2. Theorie und Methode des Animalische Magnetismus – oder der menschliche Körper als Teil eines beseelten Universum
Im Abschnitt 2.1. sollen die grundlegenden Ideen Mesmers bezüglich seiner Theorie des ‘animalischen Magnetismus’ beschrieben werden. Auf Mesmers politische Theorien kann dabei nicht näher eingegangen werden. Abschnitt 2.2. versucht zu beschreiben was Mesmer und seine Nachfolger nun tatsächlich taten, als sie ihre Patienten mit ‘animalischem Magnetismus’ behandelten.
2.1. Die Theorie des Animalischen Magnetismus
“Wollte jemand sagen, die Historie mit meinen Augen sei bloße Einbildung, so bin ich es zufrieden, und ich verlange von keinem Arzte der Welt mehr, als dass er so viel zuwege bringt, dass ich mir fest einbilde, gesund zu seyn und in meinem Körper nicht Übels zu empfinden, denn daran, denke ich, kommt alles bey
mir selbsten an. Und ein Übel an meinem Körper, wovon sich die Seele nichts vorstellet,
ist eben so viel als kein Übel, wenigstens in meinen Gedanken (…).”
Peter von Osterwald, Direktor der Bayrischen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1776, nachdem F.A. Mesmer ihn angeblich kuriert hatte
Begriffsklärung und Einordnung in medizinische und naturwissenschaftliche Konzepte des 18. Jahrhunderts
Oft missverstanden und häufig vorsätzlich missinterpretiert, bedeutet ‘animalischer Magnetismus’ oder die Eindeutschung ‘thierischer Magnetismus’ nicht etwa tierisch im Sinne von ‘bestialisch’. Animalisch leitet sich natürlich vom Lateinischen her und bedeutet soviel wie ‘beseelt’ oder ‘lebendig’. Der ‘Magnetismus der lebenden Wesen’ ist es also, den F.A. Mesmer entdeckt zu haben glaubte (Schott 1985, p. 236; Florey 1995, p. 67). In den Jahrzehnten nach Mesmer haben sich im deutschen Sprachraum auch die Begriffe ‘Lebensmagnetismus’ und ‘Heilmagnetismus’ durchgesetzt (vgl. etwa Mayo 1854) Erfinder des Begriffes aber war Athanasius Kircher (1601 – 1680), der oft als einer der letzten ‘Universalgelehrten’ tituliert wird. In seinem 1643 veröffentlichten Werk Magnes sive de arte magnetica, in dem er das damalige Wissen über den Magnetismus zusammenzufassen versuchte, findet man einen Abschnitt, der mit De Magnetismo Animalium überschrieben ist. Kircher beschreibt auch Heilungen durch Töne, durch Musik – ein Aspekt den Mesmer in der Benutzung der Glasharmonika ebenfalls aufgreift. In der Dillinger Studienbibliothek findet man noch heute, fast 250 Jahre nach Mesmers Studienzeit, Werke, die das damalige Wissen über den Magnetismus zusammenfassen. Außer Kircher galten die Schriften von William Gilbert (De magnete, magnetisquecorporibus et de magno magnete tellure 1600) sowie von Franz Ulrich Theodor Aepinus (Tentamen theoriae electricitatis et magnetismi 1759) als Werke, die das Wissen über die Kräfte Magnetismus und die neuentdeckte Elektrizität zusammenfassten.
Der Animismus Georg Ernst Stahls (1659 – 1734) kann als eine medizinische Konzeption verstanden werden, die sich den zunehmend mechanistischen Tendenzen in der Naturwissenschaft und Medizin ausdrücklich entgegenstellte. In Stahls Konzeption sollte der Versuch unternommen werden, das sich abzeichnende Schisma der naturwissenschaftlichen Medizin, in welcher ‘der Körper mechanistisch und die Seele unheimlich wird’, zu schließen (vgl. Geyer-Kordesch 1985, p. 20). Von Stahl stellt sich dem Cartesianischen Dualismus eines Körpers der als res extensa maschinenähnliche Züge besitzt und einer Seele, die als res cogitans dieser Maschine gegenübersteht entgegen, indem er den Körper ausdrücklich als von Seelenvorgängen gesteuerten Organismus betrachtet. Auch in Stahls Ätiologie, in der Krankheitszeichen Ausdruck der Heilanstrengungen der Seele sind, welche der Arzt zu unterstützen hat (Eckart 1994, p. 178f.), findet man Denkfiguren, die dem Mesmerschen ‘Krisenkonzept’ vorausgehen. (Der Magnetiseur hat bei Mesmer die – individuelle – Krise des Einzelnen zu unterstützen und zu fördern.)
Nachfolger von Georg Ernst Stahl wie Francois Boissier de la Croix de Sauvages (1706 – 1776) betonten wie dieser die seelischen Kräfte als ‘movens’ des Körpers, akzentuierten jedoch die körperlichen Funktionen anders, etwa als “zerbrechliche Maschine” (a.a.O.). Eine Reihe von Vitalismustheorien entstehen im Gefolge der Stahlschen Konzeption, deren zentrales Merkmal es ist, ein vom Körper unabhängig gedachtes Lebensprinzip zu postulieren. Der späte Mesmer-Bewunderer Christoph Wilhelm Hufeland entwickelte eine Lehre von der Lebenskraft, die unter der ‘romantischen’ Ärzteschaft Deutschlands weite Verbreitung fand.
Mesmer kannte diese Theorien ebenso wie eine Reihe von naturwissenschaftlichen Konzeptionen seiner Zeit, welche die von ihm entwickelte Lehre des animalischen Magnetismus in einem plausibleren Licht erscheinen läßt. (Siehe weiter unten.)
Bevor einige dieser Theorien als wichtige ideengeschichtliche Rahmung des Mesmerschen Konzeptes kurz skizziert werden sollen, zunächst die Darstellung von Mesmers Lehre.
Wie kam es zur Theorie des Animalischen Magnetismus?
Mesmer selbst feierte die Entdeckung des animalischen Magnetismus immer wieder als große wissenschaftliche Entdeckung und er tat dies mit dem Pathos der Inspiration.
Nachdem Mesmer etwa acht Jahre lang humoralmedizinisch behandelt hatte, fand sich im Jahre 1773 ein Patientin in seiner Praxis ein, die an nicht weniger als 15 Symptomen litt, darunter Kopf-, Ohr-, Zahnschmerzen sowie eigenartige Anfälle – man würde die Symptome der Patientin heute wahrscheinlich als psychosomatische diagnostizieren. Mesmer experimentierte nun – auf Anregung des Wiener Astronomen Maximillian Hell – mit Magneten und hatte den Einfall ein ‘künstliches Hochwasser’, analog der vom Mond erzeugten Ebbe und Flut, zu erzeugen (Ellenberger 1996, p. 97). Dies geschah vor dem Hintergrund einer Zeit, in der die neuentdeckte Elektrizität vielen als synonym für die allen lebendigen Körpern innewohnende Lebenskraft erschien, und als ebenso mysteriöse Kraft stand auch der Magnetismus im Ruf mächtige und unerforschte Wirkungen verursachen zu können.
Mesmer flößte der Patientin ein eisenhaltiges Präparat ein und befestigte Magnete an verschiedenen Stellen ihres Körpers. Nach kurzer Zeit nahm die Patientin ungewöhnliche Ströme in ihrem Körper wahr und die Symptome, insklusive ihrer Schmerzen, waren für ein paar Stunden verschwunden (a.a.O.). In Mesmers eigener Schilderung: “Diß verursachte ihr, in sehr kurzer Zeit, ausserordentliche Empfindungen. Sie fühlte, innerlich, ein schmerzhaftes Ströhmen einer sehr feinen Materie, welches sich bald da, bald dorthin, endlich aber in die unteren Theile des Körpers zog, und sie 6 Stunden von allen fernern Anfällen befreyte.” (Mesmer 1985 – nach der Ausgabe von 1781, p. 14).
Mesmer interpretierte dies so, dass jene Wirkungen nicht von dem Magneten allein herühren könnten, sondern von ‘einem wesentlich anderen Agens’ ausgehen müßten. Nach vielen Versuchen an seinen Patienten entwickelte Mesmer die Vorstellung, dieses ‘wirkende Principium’ sei eine Art Magnetismus der lebendigen Körper, der ‘thierische Magnetismus’.
Mesmers System der Wechselwirkungen – oder der Animalische Magnetismus
Im Folgenden soll eine Unterscheidung übernommen werden, die Gereon Wolters in seinem Aufsatz über ‘Mesmer und sein Problem: Wissenschaftliche Rationalität’ formuliert hat (1988). So ist es nach Wolters nützlich Mesmers Lehre in drei Bereiche zu unterteilen:
- Mesmers Naturtheorie, welche kosmische und terrestrische Phänomene umfasst, die er schon in seiner Promotion beschrieb. Die Theorie des Animalischen Magnetismus (TAM)
- die Nosologie des Animalischen Magnetismus (NAM)
- Mesmers Heilungskonzept des Animalischen Magnetismus (HAM)
Zudem macht es im Lichte der neueren Mesmer-Forschung Sinn zusätzlich zu Wolters Vorschlägen noch
- Mesmers politische und pädagogischen Theorie, die in engem Zusammenhang mit seiner Lehre vom Animalischen Magnetismus als Universalphänomen steht zu unterscheiden. Die politische Theorie des Animalischen Magnetismus (PAM). Dies ist jedoch nicht Gegenstand der Arbeit.
Die Theorie des Animalischen Magnetismus (TAM)
Mesmers Lehre ist eine mechanistische Fluidumtheorie, die als ‘magnetische Version’ der Medizin bezeichnet werden kann, die bis dahin als Vitalismus auftritt (a.a.O., p. 122).
In seiner Schrift von 1781 formuliert Mesmer 27 Lehrsätze, in denen er seine Konzepte darlegt. Demnach ist
- das Universum erfüllt von einem subtilen Fluidum – dem animalischen Magnetismus, welches organische wie anorganische Körper durchdringt. Das Fluidum ermöglicht es den Körpern in einer beständigen Wechselwirkung miteinander zu sein.
- dieses Fluidum, als äußerst feine Flüssigkeit, richtet sich nach mechanischen, (ihm) bisher unbekannten Gesetzen.
- auf den ‘thierischen’ und menschlichen Körper haben die “abwechselnden Wirkungen dieses Principiums einen Einfluß, indem es die Substanz der Nerven durchdringt, und unmittelbar auf sie wirkt.” (Mesmer 1985 – nach der Ausgabe von 1781, p. 48). Vgl. hierzu auch Newtons Äthertheorie sowie die zeitgenössischen medizinischen Konzepte eines Nervenfluidums.
- Der menschliche Körper ist ebenso wie anorganische Körper ‘wechselweiser Wirkungen’ fähig, wie bei diesen kann in ihm ‘Ebbe und Flut’ erzeugt werden, d.h. er ist im Wesentlichen polar. Deshalb vergleicht Mesmer ihn mit einem Magneten.
- Man kann die Pole dieses Körpers verbinden, verändern, zerstören und verstärken.
- Die Wirkungen und die Kraft des thierischen Magnetismus läßt sich anderen – lebendigen wie leblosen – Körpern mitteilen. Bestimmte Körper neigen dazu die (thierisch-)magnetische Kraft zu verstärken oder sie fortzupflanzen.
- Die magnetische Kraft läßt sich auch über Entfernungen vermitteln. Sie kann angehäuft, vermittelt, zusammengedrängt und von einem Ort an den anderen gebracht werden.
- Es gibt auch eine anti-polare, quasi anti-magnetische Kraft bzw. negative magnetische Kraft, welche die selben Eigenschaften besitzt wie die positive.
- Das von Mesmer postulierte Fluidum erstreckte sich nach seiner Auffassung in Körpern wie künstlichen oder natürlichen Magneten ebenso wie in allen anderen Substanzen. Heilsame Wirkungen von Magneten, der Elektrizität etc. sind demnach auf die Wirkungen des thierischen Magnetismus zurückzuführen.
- Der thierische Magnetismus heilt nach Mesmer Nervenkrankheiten unmittelbar, Krankheiten des Körpers mittelbar.
- Die Wirkung von Medikamenten und ärztlichen Kuren könne durch die Anwendung des thierischen Magnetismus vervollkommnet werden.
Sofort fällt ins Auge, dass Mesmer fast alle damals bekannten Eigenschaften der noch nicht umfassend erforschten und mathematisierten Kräfte Elektrizität und Magnetismus sowie den akustischen Aspekt der Schalleitung auf sein Fluidum übertragen hat. Wie beim Magneten ist das Rezeptionsvermögen und ‘Verhalten’ des thierischen Magnetismus polar, wie bei der Elektrizität kann sie akkumuliert, gespeichert (vgl. die damals populär gewordene Leydener Flasche) und transportiert werden. Zusätzlich wird der thierische Magnetismus von Schallwellen (insbesondere der Glasharmonika) übertragen und verstärkt sowie von Spiegeln reflektiert (vgl. Wolters 1988, p. 123).
Obgleich Mesmer in seinen Schriften nicht müde wird den Unterschied zwischen dem thierischen und dem ‘mineralischen’ Magnetismus zu betonen, wird beides in den Jahrzehnten nach seiner Entdeckung oftmals vermischt – gelegentlich auch zu Diffamierungszwecken. Ernst Florey nennt die Geschichte von Mesmers Lehre “eine Verwechslungskomödie” (Florey 1988, p. 25).
Die Krankheitslehre des Thierischen Magnetismus (NAM)
Mesmers Nosologie kann als Variante der Humoralpathologie betrachtet werden, die ja davon ausgeht, dass Krankheit durch eine unausgewogene Mischung der Säfte im Körper entsteht (Dyskrasie). Gesundheit hingegen entsteht durch eine harmonische, ausgewogene Mischung von Blut, Schleim, gelber und schwarzer Galle (Synkrasie, Eukrasie) (Eckart 1994, p. 60 f.).
In der magnetischen Lehre nun bedeutet Gesundheit ein harmonisches Verhältnis zwischen Bewegung und (muskulärer) Erstarrung bzw. Verfestigung. In seinem Alterswerk formuliert Mesmer dies als Unterhaltung des ‘Lebensfeuers’, was man wohl synonym setzten darf mit dem von ihm formulierten Fluidum. Gesundheit ist Wiederherstellung der Irritabilität der Muskeln und Beweglich des Organismus (Schott 1985, p. 241).
Krankheit ist dementsprechend eine auf Verfestigung beruhende muskuläre Schwäche, welche zu einer Stockung der Zirkulation von Lebenssäften führt. Die Folge dieser Stockung sind mannigfache Symptome. Die pathologische Verfestigung der Muskeln ist letzlich auch der Grund für den Eintritt des Todes.
Mesmers Heilungskonzept (HAM) – oder die Rolle des Arztes
“Es gibt nur eine Krankheit und eine Heilung”.
Franz Anton Mesmer
Die ärztliche Kunst besteht im mesmeristischen System darin ‘thierischen Magnetismus’, also das allem Lebendigen innewohnende Fluidum, auf den eigenen Organismus zu konzentrieren und dieses Fluidum dann auf den Kranken zu übertragen. Es gibt Personen, die besonders begabt sind bei der Akkumulation magnetischer Kräfte und solche die dies weniger vermögen. (Beispielsweise schrieb Mesmer dem von ihm ‘widerlegten’ Exorzisten Gassner – siehe Abschnitt 1 – eine große Menge an ‘thierischem Magnetismus’ zu, die sogar seine eigene Fähigkeit zur Akkumulation überträfe.)
Die Übertragung des thierischen Magnetismus erfolge dann über die Nervenbahnen, welche mit aufgefrischtem, verstärkten oder vermehrten Fluidum die Muskeln in neue Bewegung versetzten, um dem angestrebten harmonischen Verhältnis zuzuarbeiten (Wolters 1988, p. 124).
Der Arzt nimmt somit eine entscheidende Stellung ein. Nur er ist in der Lage genügend Fluidum zu akkumulieren, welches an Erkrankte weiterzugeben ist. Diese Stellung des Arztes verstärkt sich einerseits in Mesmers Pariser Zeit, als er eine Gruppenbehandlung erfindet, wird jedoch durch die gewichtigere Rolle der Mitpatienten und Stimulation durch deren Krisen andererseits wieder ausgewogen. Der Magnetiseur spielt hierbei die Rolle eines Katalysators für einen selbstorganisierenden Gruppenprozess.
Das besondere an Mesmers Heilungskonzept war zweifellos seine Idee der Krise. Für Mesmer waren die krisenhaften Zustände seiner Patienten, in denen diese oftmals in konvulsivische oder kataleptische Prozesse gerieten, ein Mittel zur Heilung – so sehr wie sie auch Beweis für die Existenz der Krankheit darstellten (vgl. Ellenberger 1996, p. 103 f.). Mesmer wollte diese Krisen evozieren. Die Krise war der Weg, um den krankmachenden Widerstand (der erstarrten Muskeln) zu überwinden. “Die Krisis ist das allgemeine Verfahren und das Wirken der Natur zur Wiederherstellung der gestörten Harmonie zwischen flüssigen und festen Theilen” (Mesmer 1812, p. 36).
Dies war zugleich einer der ersten Aspekte seiner Theorie, die seine Anhänger auf dem langen Weg vom thierischen Magnetismus bis zur modernen Hypnose modifizierten. Schon in der Generation seiner Schüler tauchte mit dem Marquis de Puysegur eine einflußreiche Gestalt auf, welche die Mesmersche Krisentheorie durch das Konzept des somnambulen Zustandes ersetzte. Ellenberger betonte, dass Mesmers Krisentheorie eine direkte Übertragung der Gassnerschen Praxis der Teufelsaustreibung sei. In dessen kirchlich-rituell begründeter Praxis stellte der Probe-Exorzismus (exorcismus probativus) einen unverzichtbaren Zwischenschritt zur Befreiung von den auszutreibenden Dämonen dar. Zeigte sich kein Symptom, sprich: Dämon, so schickte Gassner seine Patienten zum Arzt (a.a.O., p. 91). Mesmer greift diese Denkfigur in seiner Krisentheorie auf.
Ein interessanter Aspekt dieser Überzeugung ist Mesmers Auffassung, jeder Patient entwickle eine für seine Krankheit spezifische Krise. Der Asthmatiker sozusagen einen Asthmaanfall, der Epileptiker dementsprechend einen epileptischen Anfall. Diese Ansicht differenziert Mesmer in seinem Alterwerk zu der Auffassung, in der Krise offenbahre jeder Mensch gewissermaßen eine ihm eigene Anlage, stelle sie dar und erhöhe sie. Mesmer ‘psychologisiert’ damit unbeabsichtigt seine Krisentheorie, was ihn beispielsweise zu der Behauptung führt, die Franzosen – in seiner Pariser Zeit – etwa seien in ihren Krisen “viel herumgesprungen, hätten getanzt, gesungen und gelacht” (Tagebuchaufzeichungen eines mit Mesmer befreundeten Studenten, zitiert in: Florey 1995).
Neben dieser Krisenauffassung bedeutet die Behandlungssituation, die Mesmer mit der Betonung des Magnetiseurs bzw. von dessen Persönlichkeit im Behandlungsprozess geschaffen hat, einen Fortschritt und zugleich eine Provokation gegen die sich mechanisierende und akademisierende ärztliche Heilkunst. Mesmer betont die Bedeutung des Arzt-Patient-Verhältnisses und führt den Begriff des therapeutischen Rapports ein, der bis heute in der Psychotherapie, respektive der Hypnose, als zentrales Konzept akzeptiert wird. Unter anderem deshalb wird er von Ellenberger als ein Urvater der modernen Psychotherapie stilisiert (vgl. 1996) – während dies bei genauerem Hinsehen jedoch mehr noch auf die Generation seiner Schüler und Nachfolger zutrifft.
Neben der Integration zeitgenössischer physikalischer und medizinischer Theorien (siehe weiter unten) und der Betonung des Krisenkonzeptes steht als weitere Dimension des thierischen Magnetismus Mesmerscher Prägung das ausgesprochene Sendungsbewusstsein und die Person Mesmers selbst, welcher seine Entdeckung zeitlebens für einen der größten Entwürfe der Menschheitsgeschichte hielt. Hier wird der mesmeristische Kult des romantischen 19. Jahrhunderts vorgezeichnet – als Kult der Persönlichkeit und des Individuums.
Die ideengeschichtliche Rahmung von Mesmers Lehre aus zeitgenössischen wissenschaftlichen und medizinischen Theorien
Ergänzende sollen an dieser Stelle einige wissenschaftsgeschichtliche Hintergründe genannt werden, die zum Verständnis der Mesmerschen Konzeption betragen.
Medizinische Theorien
Beispielhaft sei hier die Auffassung der damaligen Nervenphysiologie genannt, die Nerven seien ähnlich wie die Blutgefäße hohl und in deren Innerem fließe ein feines Fluidum (vgl. u.a. Florey 1995, p. 119 über die damalige Hörphysiologie). Mesmer übernimmt diese physiologische Auffassung und postuliert dieses Nervenfluidum zum ‘thierischen Magnetismus’.
Naturwissenschafliche und philosophische Theorien
Die Mathematisierung der Naturwissenschaften hatte mit René Descartes (1596 – 1650), Galileo Galilei (1564 – 1642), Johannes Kepler (1571 – 1630) und Isaac Newton (1642 – 1727) einen entscheidenden Sprung gemacht. Es gab relativ umfassend formulierte Theorien wie die Newtonsche über die Schwerkraft. Zugleich hatten sich philosophische Kräfte gegen die Auffassung formiert, die Natur sei auf dem Wege der Mathematisierung allein erklärbar. Ende des 18. Jahrhunderts brachte Friedrich Schiller diese geistige Strömung in die Worte: “Es ist der nackte schneidende Verstand, der die Natur , die immer unfaßlich und in allen Punkten ehrwürdig und unergründlich ist, schamlos ausgemessen haben will und mit einer Frechheit, die ich nicht begreife, seine Formeln, die oft nur leere Worte und immer nur enge Begriffe sind, zu ihrem Maßstab macht (…)” (Schiller zitiert in: Florey 1988, p. 20). Diese antimechanistische Bewegung war auch der Ausgangspunkt der oben erwähnten vitalistischen Theorien.
Elektrizität und Magnetismus waren weniger gut erforschte und mathematisch erklärte Phänomene, die auf vielerlei Weise die Neugier der Zeitgenossen erregten. Nicht nur in den mannigfaltigen physikalischen Experimentierstuben und privaten Laboratorien – Robert Darnton schildert wie etwa die späteren Revolutionspolitiker Jean Paul Marat und Maximillien Robespierre zuerst mit ‘wissenschaftlichen’ Veröffentlichungen ans Licht der Öffentlichkeit traten (Darnton 1986, p. 46 f.). Das Experimentieren und Demonstrieren der Naturkräfte Elektrizität und Magnetismus war vor allem im Paris des Ancièn Regime zu einer öffentlichen Leidenschaft geworden: auf diesem Feld gewann der Mesmerismus seine Anhängerschaft.
Das philosophisch-naturwissenschaftliche Wissen über den Magnetismus war von vielen zum Teil historischen Quellen geprägt.
Petrus Peregrinus stellte im 13. Jahrhundert Versuche mit Magneten an. Von ihm stammt der Begriff ‘Pol’ (Florey 1988, p. 22). William Gilbert (1544 – 1603) veröffentlichte im Jahre 1600 seine Abhandlung über den Magnetismus, in welcher er die Erde selbst als polar beschreibt. Schließlich entwickelte Georg Hartmann (1489 – 1564) die Methode Eisennadeln durch Bestreichen mit einem Magneten zu ‘magnetisieren’. Erste Versuche der Mathematisierung stellte John Mitchell (1724 – 1793) auf.
Auch Paracelsus (1493 – 1541) hatte innerhalb seiner medizinisch-universalistischen Theorie den menschlichen Körper mit einem Magneten verglichen, welcher aus dem “Chaos des Weltalls oder eines kranken Körpers Krankheit an sich ziehen kann” (Florey 1988, p. 21) und die Anwendung von Magneten durch Auflegen derselben auf das erkrankte Körperteil empfohlen.
Der Engländer Robert Fludd (1574 – 1636) erklärte, dass der Mensch als Mikrokosmos auch magnetische Qualitäten besitze, ihm eigne wie der Erde zwei Pole, von denen aus ein aktiver und ein passiver Strom im menschlichen Körper kreise.
Der Alchemist und Arzt Jan Baptista von Helmont (1579 -1644) hatte den Magnetismus als himmlische, an keine Entfernung gebundene Kraft erachtet und ihn mit einem ätherischen Geist verglichen, welcher “rein und lebendig alle Dinge durchdringt und die Masse des Weltalls bewegt” (a.a.O.). Dies schließlich ähnelt dem Konzept der Physik des 18. Jahrhunderts, in welcher der ‘Äther’ als masselose Träger von Licht galt.
Der Begriff der Elektrizität schließlich stammt von dem oben erwähnten William Gilbert, der erste elektrische Experimente anstellte. Otto von Guericke (1602 – 1686) erfand eine erste Elektrisiermaschine. Mitte des 18. Jahrhunderts endlich wurde mit der Leydener Flasche (Peter Musschenbroeck und zeitgleich Georg Kleist) ein Kondensator erfunden, in welchem Elektrizität speicher- und transportierbar wurde (Florey 1988, p.24).
Was die Physik der Zeit betraf, so ist noch Newtons Äther-Theorie zu erwähnen, die nicht auf experimenteller, sondern auf spekulativer Grundlage entstand, jedoch durchaus populär war.
Schließlich wäre die Imponderabilien-Diskussion der Physik des 18. Jahrhunderts insgesamt zu erwähnen, in welcher postuliert wurde, dass etwa Licht und Feuer (Wärme) keine Substanzen, keine messbaren Größen seien (Blankenburg 1985, p. 75).
Vor diesem ideengeschichtlichen Hintergrund wirkt Mesmers Theorie des thierischen Magnetismus weniger orginell , denn vielmehr als eine Übertragung zeitgenössischer Ideen aus Physik und Medizin auf sein Gebiet.
2.2. Eine magnetische Behandlung
Im folgenden soll ein Eindruck vermittelt werden von dem, was einen Patienten bei einer magnetischen Behandlung erwartete.
Seltsamerweise haben Mesmer und auch seine unmittelbaren Nachfolger mehr über ihre Lehre theoretisiert als ihre praktische Ausführung beschrieben. Detaillierte Behandlungsberichte sind rar, namentlich, wenn man das moderne Paradigma vertritt, der Mesmerismus sei eine frühe, ritualisierte und ‘magische’ Form von Hypnosebehandlung gewesen. Diese moderne Auffassung, die sich seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts auch akademisch durchzusetzen beginnt, betont die Rolle von Suggestion und Imagination – welche vor allem sprachlich vermittelt werden. Was und wieviel jedoch gesagt wurde ist kaum überliefert. Offensichtlich war die Aufmerksamkeit von Patienten und Beobachtern sowie jene der Magnetisten selbst eher auf die körperlichen Phänomen und ihre mechanistische Deutung als durch Fluida erzeugte Krisen geheftet.
Frühe Behandlungsmethoden von Mesmers und deren Weiterentwicklung
Am Beispiel seiner ersten Modellpatientin wurde deutlich, dass es Mesmers Absicht war die ‘krisenerzeugende Natur ‘ nachzuahmen, ihr bei der Erzeugung von Symptomen gewissermaßen unter die Arme zu greifen, zu beschleunigen, zu verstärken – um die Re-Harmonisierung zu unterstützen.
Bei ‘Fräulein Österlin’ geschah dies, indem er einen herzförmigen Magneten an die Brust und zwei gebogene an den Beinen befestigte, nachdem die Patientin ein eisenhaltiges Präparat zu sich genommen hatte (Ellenberger 1996, p. 97). Bei der Patientin erhob sich sodann ein “heißer zerreißender Schmerz von den füßen an, strömte aufwärts, hinterliß durchgehends bey jedem Gelenke ein brennen gleich einer glühenden Kohle” (Mesmer zitiert in Florey 1995, p. 62). Hier ist noch nicht die Rede von den später berühmt gewordenen Strichen, den ‘Passes’.
Mit derselben Patientin versucht Mesmer noch weitere Variationen der Anbringung von Magneten sowie verschiedene Formen von Magneten.
Im Laufe der Jahre entwickelte Mesmer dann ausgefeiltere Methoden – schuf jedoch selbst nie eine explizite Systematik. Mesmer heilte intuitiv und wie Geyer-Kordesch es formuliert, im Modus des Rituals und der Bannung, welcher Seelisches und Körperliches zu vereinen suchte (1985, p. 19). Als Behandlungsformen kristallisierte sich jedoch eine ‘mesmeristische Haltung’ heraus, bei welcher sich Arzt und Patient so gegenüber saßen, dass die Knie des ersteren die des Patienten berührten. Dann wurden Luftstriche am Körper entlang ausgeführt, bzw. bei bestimmten Körperstellen, die sich als besonders bedeutend für das Fließen des Fluidums erwiesen verweilt. “Die meisten Mesmeristen konzentrierten sich auf den Äquator des Körpers beim Hypochondrium, die Bauchgegend unterhalb der Rippen, wo Mesmer den Gemeinsinn lokalisierte” (Darnton 1986, p. 14). Entsprechend der Theorie das Fluidum habe polare Eigenschaften suchte man das Fließen zwischen diesen Polen in Gang zu bringen, wobei es galt den einseitigen direkten Kontakt mit Nord- und Südpol zu meiden.
Entsprechend Mesmers Lehre war die Übertragung des Magnetismus nicht nur über direkten Körperkontakt möglich, sondern auch über Fernwirkung: er experimentierte mit Rohren und Blicken – damals bildete sich das für die Hypnose noch heute gültige Klischee von der Macht des ‘hypnotischen Blickes’. Zur Verstärkung des Fluidums verwendete Mesmer Spiegel und vor allem die Musik. Auf der Glasharmonika spielte er seinen Patienten vor und manche mesmeristische Wirkung wird von Zeitgenossen auf die Wirkung dieses ‘Synthesizers des 18. Jahrhunderts’ mit seinen Sphärenklängen zurückgeführt.
Entfaltung des Mesmerismus in Frankreich – die Erfindung der Gruppenbehandlung
Entscheidende Modifikationen der Behandlungssituation führte Mesmer während seiner Pariser Zeit ein.
Ellenberger sieht ihn als Erfinder der Gruppentherapie – einer Behandlungsform bei der mehrere Patienten gemeinsam einer ähnlichen Prozedur unterzogen werden.
Mesmers Praxis in Paris quoll über, innerhalb eines Jahres versuchte er durch dreimaligen Umzug seine Behandlungsräume zu vergrößern. Arm und reich strömten in Scharen. Mesmer entwickelte nun das berühmt gewordene Baquet, eine Art hölzerne Wanne, gefüllt mit magnetisiertem Wasser, aus der Eisenstäbe hervorragten. In Mesmers Sicht bildete das Baquet einen “zusammengränzenden Körper” (Schott 1985, p. 242), der durch eine gemeinsame Flut bewegt und verbunden war. Die Patienten bildeten die Mesmersche Kette – jeweils mit einem dieser Eisenstäbe in anatomischer Nähe ihres Symptoms verbunden. Man darf sich dies getrost als eine Art Stromkreis vorstellen, dessen Fluß zu befördern die Aufgabe des Magnetiseurs war. Die Gemeinschaft mit anderen Körpern sollte ebenso wie die Musik das Fluidum verstärkten. Neben der von Mesmer mit Vorliebe gespielten improvisierten Musik auf der Glasharmonika, unterhielt er zeitweise ein ganzes Orchester.
Patienten, die sich für solche Gruppenbehandlungen einfanden, sahen sich neben einem Kreis von Mitleidenden meist von einer großen Schar von Zuschauern umringt. Jene Patienten, die während der Behandlung in eine Krise verfielen, wurden von Helfern Mesmers in das sogenannte Krisenzimmer geführt, wo sich Liegen befanden. Sobald sie die Krise überwunden hatten führte Mesmer ein abschließendes Gespräch mit ihnen und entließ den Patienten (u.a. Florey 1995, p. 129). Siehe auch Anhang 1, in dem einen genauere Beschreibung einer Gruppenbehandlung am Baquet widergegeben ist.
Magnetismus für das Volk
Mesmer wurde von Personen aus allen Gesellschaftsschichten konsultiert, so dass er sich bald gezwungen sah, eine eigenes Zimmer inklusive Baquet für die Armen einzurichten.
Als der Magnetismus an Popularität gewann, entstand eine eigenartige Form von Volksmagnetismus, in der letztendlich Vorstellungen aufgegriffen wurden, die auf wahrscheinlich jahrtausendealte Strukturen aus dem Volksglauben zurückgegriffen wurde: Die sogenannten magnetisierten Bäume. Fast jede Siedlung verfügte noch über eine Dorfulme oder -eiche, einen zentralen Baum, welcher dem Ort gewissermaßen eine Mitte verlieh. Diese oft noch verehrten Bäume wurden nun Schauplatz mesmeristischer Behandlungen: Sie wurden ‘magnetisiert’ und ähnlich wie beim Baquet verbanden sich die Kranken mit einem Seil untereinander, um die magnetische Kur zu erfahren.
Siehe Anhang 2, in welchem eine solche Baumbehandlung in neuerer literarischer Bearbeitung geschildert wird.
3. Mesmers als magischer Aufklärer. Discours sans la méthode – oder die Provokation des Mesmerismus
“Bekanntlich nahmen dieselben Ärzte, welche der Pest und Cholera gegenüber mutig stand hielten, bis in die jüngste Zeit Reißaus, wenn Mesmersche Versuche angestellt wurden.”
Benedikt, 1880, (zitiert in Schott 1985, p. 246)
War Mesmer Aufklärer oder waren seine Lehren und die aus ihnen hervorgehende Praxis eher eine Speerspitze der Gegenaufklärung, gar eines magisch-antirational gerichteten Strebens?
Mesmer polarisiert: Gilt er den einen als ‘Wohltäter des Menschengeschlechtes’, verkörpert er für andere das ‘archetypische’ Bild des Scharlatans. Medizingeschichtler wie Ellenberger indes zeichnen das Bild eines tragikkomischen Naturforschers, der eine wichtige Entdeckung machte, sie jedoch selbst nicht begreifen konnte (vgl. Schott 1985; Ellenberger 1996).
Im folgenden soll nicht der Versuch unternommen werden, das Bild Mesmers seiner Ambiguität zu berauben. Vielmehr soll Mesmer als Provokation für den Idealismus der Rationalität beschrieben werden, welcher als die zentrale Konstruktion des damaligen Aufklärungsverständnisses gelten kann. Ob Mesmer als Aufklärer gelten kann oder nicht entscheidet freilich der Aufklärungsbegriff, den man hier anlegt. Historisch kontextualisiert, also im Rahmen der Vorstellungen von ‘Aufklärung’ seiner Zeitgenossen, ist Mesmers Rolle ganz anders zu bewerten als bei dem Versuch ihn ideengeschichtlich und medizinhistorisch einzuordnen.
Zudem gilt es sehr genau zwischen Mesmers Lehre des ‘thierischen Magnetismus’ (im 2. Abschnitt als TAM beschrieben) – also seinem persönlichen Konstruktionsgebäude – und den von ihm entdeckten Phänomenen zu unterscheiden. Letztere werden heute allgemein als Bewußtsseinsphänomene verschiedener Art beschrieben: ergotrope und trophotrope Trancen, hypnotische Trancephänomene wie Zeitverzerrung, Katalepsie, Amnesie, Analgesie und Anästhesie etc. (vgl. u.a. Erickson, Rossi et al. 1978; Kossak 1989).
Wer wie Adorno und Horkheimer eine Dialektik der Aufklärung formuliert, die es für wesentlich erachtet das Irrationale als ‘systemimmanent’, als unausbleiblich der conditio humana Zuzurechnendes zu betrachten, könnte Mesmers Beitrag zu einer Philosophie und Psychologie des Unbewussten würdigen und einen wichtigen – wenngleich theoretisch mißglückten – Ausbruch aus der abschüssigen Rationalitätseuphorie der Zeit erkennen. In dieser Sichtweise wäre Mesmer insofern als Aufklärer zu betrachten, als er den Weg bahnte zu einer erweiterten Phänomenologie des menschlichen Geistes.
Doch kann Mesmer auch in historischer Perspektive als Aufklärer gelten? Dazu sollen zunächst noch einmal die Argumente von Franzisca Loetz genannt werden, die sie zur Beschreibung des Begriffes ‘Aufklärungsmedizin’ anführt.
Medizinische Aufklärung
Von Franzisca Loetz werden folgende beschreibende Kriterien für eine ‘Aufklärungsmedizin’ genannt, die zugleich die Perspektiven verschiedener Disziplinen wie der Sozialgeschichte oder Medizingeschichte widerspiegeln (1993):
- eine Elite bürgerlich-akademischer Ärzte, welche sich die Glaubenssätze der Aufklärung an die Macht der Vernunft, die Perfektibilität des Individuums und die allgemeine Entwicklung der Menschheit auf einen vage gehaltenen Fortschritt hin zu eigen machen, sind Träger einer ‘Gesundheitsbewegung’ (a.a.O., p. 74)
- das Streben dieser Ärzte war keineswegs nur gesundheitspolitisch begründet, sondern umfasste eine Reihe von politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Ideen. Beispielsweise wurde Armut als ein Grundübel der medizinischen Situation der Bevölkerung erkannt und umfassende Forderungen an den Staat daraus abgeleitet (a.a.O. Ohnehin kann von einer umfassenden Mobilisierung gesellschaftlicher Kräfte für die Zwecke der Aufklärungsmedizin gesprochen werden. (Beispiel: Geistliche sollten die Pockenschutzimpfung populär machen (a.a.O., p.80)
- die Moralisierung von Krankheit. Nicht mehr ein von Gott oder anonymen Mächten und Prozessen verursachtes Leiden, vielmehr das Verhalten des einzelnen Subjektes, dessen umfassende Lebenspraxis, sollte verantwortlich sein für Gesundheit oder Krankheit (a.a.O.).
- in engem Zusammenhang damit steht die mannigfache Formulierung einer ‘zivilisationskritischen’ bürgerlichen Lebenskunst, die sich von ‘adeliger Dekadenz’ und wie von ‘faulem Pöbel’ gleichermaßen abzugrenzen suchte. Diätetische und arbeitsmedizinische Regeln wurden abgefasst, die Bedeutung der Prophylaxe betont (a.a.O.).
- ein zentraler Punkt bildete die Rhetorik und Programmatik der Vernunft. Die Kritik an Pfuschern und Pseudodoktoren erreichte einen Höhepunkt. ‘Wissenschaftlichkeit’ wurde als zentrales Kriterium für ärztliches Denken und Handeln propagiert. Zu dieser Wissenchaftlichkeit fähig zu sein, schien hingegen fast ausschließlich der akademische Ärztestand. Dies sollte zu einer Monopolisierung der Heilkunde unter der Flagge wissenschaftlich-ärztlicher Vernunft führen. Es wurden etwa Versuche unternommen aus der großen Schar von heilkundlich Tätigen listige Betrüger, von boshaften Betrügern, weisen RathgeberInnen und unwissenden Taugenichtsen zu unterscheiden (a.a.O., p. 76).
- Dies führte ferner zu einer umfassenden ‘aufklärerischen’ Polemik gegenüber magisch-religiösen Krankheitsvorstellungen, welche in einer umfänglichen Ratgeberliteratur verbreitet wurde. Medizinische Volksaufklärung war angesagt (a.a.O., p. 79). Hygiene und Beobachtung des eigenen Körpers wurden propagiert. Eine umfassende Veränderung der Definition und des Selbstverständnisses der Körperlichkeit ging damit einher.
- Eine grundlegende Neudefinition der Arzt-Patient-Beziehung wurde geschaffen. Man kann von einer Hierarchisierung oder in kritischem Blickwinkel von Entmündigung des Kranken, oder neutraler von ‘Enteignung der Gesundheit’ sprechen (a.a.O., p. 83). Rationalisierung der Krankheit ging Hand in Hand mit den Autoritätsansprüchen der Ärzteschaft.
Der Mesmerismus im Spiegel der Aufklärungskriterien von Franzisca Loetz
Beurteilt man nun den thierischen Magnetismus zur Zeit seines Gründers Franz Anton Mesmer unter dem Blickwinkel der oben genannten Definitionskriterien, so kommt man nun keineswegs zu einem klaren Bild – Ambiguitäten bleiben auch in historischer Perspektive erhalten. Es gilt nochmals zu erwähnen, dass diese Ausführungen nur für den ‘thierischen Magnetismus’ in der Facon von Franz Anton Mesmer selbst gelten. Schon zu seinen Lebzeiten wurden wesentliche theoretische und praktische Konzepte seiner Lehre von Schülern wie Puységur weiterentwickelt und verändert.
Franz Anton Mesmer selbst gehörte zweifellos einer Elite bürgerlich-akademischer Ärzte an. In seinem Selbstverständnis war er nicht nur den zentralen Ideen der Aufklärung – Vernunft, Individualismus und Fortschritt – verpflichtet, sondern betrachtete selbst seine Entdeckung als seriösen Beitrag zur wissenschaftlichen Physik und Medizin seiner Zeit (Wolters 1988, p. 124). Aus seinem medizinischen Konzept heraus entwickelte er weitreichende politische, ökonomische, soziale und kulturelle Konsequenzen – die in Diskrepanz zu den Auffassungen vieler ‘Aufklärungsärzte’ allerdings nicht staatliches Handeln (Loetz 1993), sondern eigenverantwortliche Lebensführung in den Mittelpunkt der Gesundheitsfürsorge rückten. Doch die ‘Aufklärung’ Mesmers erstreckte sich nicht nur auf die Physik und Medizin, sondern reichte weit in Gebiete der Moral und Sozialphilosophie hinein (Blankenburg 1985, p. 63).
Auch im Punkte der Moralisierung von Krankheit steht Mesmer vollkommen hinter dem ‘aufklärischen’ Gedanken der Eigenverantwortung. Seine Ratschläge zur Verbesserung individueller Lebenspraxis stehen jedoch unter dem eher traditionell anmutenden Überbau des ‘harmonischen Lebens’, d.h. des harmonischen Fließens des Magnetismus im Körper.
Zum Argument, ‘Aufklärungsärzte’ hätten Regeln ‘zivilisationskritischer’ bürgerlicher Lebenskunst formuliert, sind vor allem noch einmal Mesmers Beitrag zur Entwicklung einer Gruppenbehandlung sowie seine pädagogischen Prinzipien zu nennen. Im Erbe naturphilosophischer Autoren, inspiriert durch die auf Selbstständigkeit und Entfaltung individueller Möglichkeiten konzentrierten Erziehungsphilosophien des 18. Jahrhunderts, formuliert er Regeln der Lebenskunst und Erziehung. “Das Kind kann sich für die Gesellschaft, wozu es bestimmt ist, nur allein in der Gesellschaft von Kindern bilden” (Mesmer zitiert in Blankenburg 1985). Diätetische oder arbeitsmedizinische ‘Vorschriften’ sind bei Mesmer nicht oder nur in allgemeinster Form zu finden.
Das Loetz’sche Kriterium der Rhetorik und Programmatik der Vernunft ist im Falle Mesmers schwer zu beurteilen. Man könnte argumentieren, dass Mesmer sein im wesentlichen mechanistisch strukturiertes System des ‘thierischen Magnetismus’ entwickelte, um eben dem Zeitgeist der ‘Vernünftigkeit ärztlichen Handelns’ zu entsprechen. Wieder bleibt zu sagen, dass sein Selbstbild weit entfernt war von der Fremdeinschätzung vieler seiner akademischen Kollegen. Mesmers Disput gegen Gassner (siehe Abschnitt 1) wurde im Namen der Vernunft und Wissenschaftlichkeit geführt und in Gegnerschaft zu den magisch-religiösen Krankheits- und Heilungsvorstellungen Gassners geführt. Ebenso polemisierte er gegen die traditionelle, noch humoralpathologisch geprägte Medizin seiner Zeit.
Überraschendes tritt zutage, wenn wir den Mesmerismus unter der Perspektive der Arzt-Patient-Beziehung betrachten. Die Patienten kamen – noch entgegen weit verbreiteter Gepflogenheiten – zu Mesmer, nicht der Arzt zu den Patienten. Die Patienten selbst wurden als Träger der Heilkräfte betrachtet, der Arzt nur als Katalysator. Patienten konnten an den Mesmerschen Baquets voneinander profitieren – ein Prinzip, dass erst die Psychotherapie des 20. Jahrhunderts wieder aufgriff. Alles Punkte, die Mesmer näher an Strömungen des 20. , denn des 18. Jahrhunderts erscheinen lassen – wenngleich auch antike Elemente darin zu aufzufinden sind – wie das natura sanat medicus curat. Mesmer ist zudem der ‘Erfinder’ des Begriffes Rapport, der die ‘zwischenmenschliche Grundvariable’ in der Heilkunst unterstrich (auf den letztendlich auch mancherlei sogenannte Placebo-Effekte zurückgeführt werden können).
Mesmer bleibt ohne ‘wissenschaftliche’ Methode
Die entscheidende Frage bei der für die Einordnung Mesmers innerhalb der wissenschaftlichen Tradition des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist jedoch jene nach Mesmers Verständnis wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnes und -fortschrittes.
Die im folgenden zu belegende These lautet: Mesmer übernimmt zwar die Rhetorik der Vernunft und Rationalität, den Glauben an Wissenschaftlichkeit als Fundament medizinischer Praxis sowie einige erkenntnistheoretische Allgemeinplätze, akzeptiert hingegen nicht die von Descartes, Newton, Galilei und Nachfolgern zu jener Zeit definierten Spielregeln des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns. Mit anderen Worten: Mesmer bleibt ohne Methode.
Das Pariser Gutachten von 1784
Obige These soll mit der Darstellung des Pariser Gutachtens zum Mesmerismus belegt werden. Robert Darnton und Gereon Wolters diskutieren ausführlich die Frage, ob interne oder externe Gründe für die Ablehnung des Mesmerismus durch die zwei vom französischen Staat einberufenen Kommissionen verantwortlich waren (Darnton 1986; Wolters 1988). Als interne Gründe sind Argumente gegen die Stichhaltigkeit von Mesmers Lehre und Praxis zu betrachten als externe Gründe gelten sachfremde Entscheidungen, etwa eine Ablehnung des Mesmerismus aus Gründen der Staatsraison.
Am 12. März 1784 ernennt Louis XVI zwei Kommissionen, die sich dem inzwischen zur ’cause célèbre’ gewordenen Mesmerismus widmen sollten. Deren Aufgaben bestanden darin, zum einen die Existenz des thierischen Magnetismus zu überprüfen, zum zweiten dessen therapeutischen Wert zu beurteilen. Die eine Kommission bestand aus Mitgliedern der königlichen Akademie der Wissenschaften: Benjamin Franklin, Lavoisier, von Bory, le Roi, Bailly. Die zweite aus Ärzten, die von der Pariser Medizinischen Fakultät gewählt wurden: Borie, Sallie, von Arcet, Guillotin.
Robert Darntons Beweisführung versucht die These externer Ablehnung in der Hauptsache durch folgende Argumente zu unterstützen (Darnton 1986):
- der Mesmerismus missfiel der Regierung, (wenngleich manche Stellen bei Hofe, u.a. die Königin, ihn unterstützten). Darnton führt zahlreiche Belege hierfür an, u.a. die Verwicklungen der Pariser Mesmeristen in revolutionäre Umtriebe. (Argument: Machtinteressen und politische Opportunität.)
- die Kommissionsmitglieder seien eine ‘Vernunftpolizei im Dienste der Staatsmacht’. Ein Mitglied des Geheimdienstes nahm an den Untersuchungen der Kommission teil.
- Auch der Chemiker Lavoisier, Mitglied der Kommission, habe eine Theorie entwickelt, die mit einem nicht nachgewiesenen Fluidum arbeite, die kalorische Wärmetheorie (nach der alle materiellen Körper von feinsten unsichtbaren Poren durchzogen seinen) (zitiert in Wolters 1988, p. 128).
Gereon Wolters indes versucht Belege für eine Ablehnung des Mesmersmus aus internen Gründen zu finden. Er zitiert zunächst die Argumente der (akademischen) Kommission, nach deren Eischätzung “Gesichtspunkte verwirrter Praxis” (a.a.O., p. 130) den Mesmerismus zur Pseudowissenschaft stempeln:
- die Nichtbeachtung des Kausalgesetzes (nachdem gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben müssen).
- die Nichtunterscheidung zwischen Tatsachen und Hypothesen. (Tatsächlich ist Mesmer von Anfang an im Stil inspiratorischer Intuition von seiner Lehre – nicht nur von den beobachteten Phänomenen – überzeugt).
- die Nichtbeachtung des Empirieprinzips (wonach Theorien sich an Erfahrungen zu bewähren haben).
Die Kommission stellt in einer Reihe von Versuchen – die sich allerdings auf die Praxis lediglich eines, von Mesmer nicht akzeptierten Magnetiseurs beziehen – fest, dass die Wirkungen des magnetischen Fluidums bei den (15) Versuchspersonen davon abhängen, ob diese über eine ‘magnetische Sensibilität’ verfügen (a.a.O., p. 131). Bei den magnetisch sensiblen Personen tritt die Wirkung nur ein, wenn diese wissen, dass sie magnetisiert werden.
Die Kommission fragt sich dann, was nun die zweifelsfrei beobachtbaren Wirkungen der Praxis des animalischen Magnetismus (HAM) verursache, wenn diese nun unabhängig von der Lehre Mesmers, der Theorie des animalischen Magnetismus (TAM) erfolgten. Nach den Schlußfolgerungen der akademischen Kommission sei der verursachende Faktor für die Wirkungen die ‘imagination’, die “auf dem Wissen um die magnetischen Operationen beruhende Einbildungskraft” (a.a.O., p. 132). Die Annahme eines Fluidums sei nicht nötig.
Diese Interpretation – so sei nebenbei erwähnt – wird wenige Jahrzehnte später von den Nachfolgern der Magnetiseure, den Hypnotiseuren offensiv aufgegriffen – und bildet in einem neuen theoretischen Rahmen bis heute die Grundlage für eine Interpretation hypnotischer Wirkungen.
Die Kommission stellte also keineswegs die Wirkungen des Mesmerismus prinzipiell in Frage, sondern lehnte aus plausiblen wissenschaftsinternen Gründen die Lehre vom magnetischen Fluidum ab.
Die Ergebnisse der zweiten, ärztlichen Kommission seinen hier nur der Vollständigkeit und Kuriosität halber erwähnt, da sie inhaltlich nichts zum vorgebrachten Argument beitragen:
- der Mesmerismus widerspräche dem Grundsatz der Anwendung sanfter Mittel
- die mesmeristischen Konvulsionen erzeugten eine Art erblicher Sucht
- die mesmeristischen Konvulsionen seinen krebserregend.
Mesmer akzeptierte nie die grundsätzlichen Spielregeln des Wissenschaftsbetriebes, dem er sich zugehörig fühlte und von dem er akzeptiert werden wollte. Er argumentierte für seine Fluidumslehre, ohne deren Existenz und vorgeblich allumfassende Wirkungen in einer systematischen Art und Weise untersucht zu haben – oder dies zu wollen. Es soll keineswegs bestritten werden, dass eine Reihe sachfremder Überlegungen und standespolitische Interessen zur Ablehnung des Mesmerismus durch die Kommission beitrugen. Doch überwog die Argumentation, welche aufgrund interner Gesichtspunkte den Mesmerismus abwies.
Schlussbetrachtung
“Die wenigsten kennen seinen Namen, alle stehen unter seiner Wirkung”.
Reinhold Schneider (zitiert von Schott 1985)
Die medizinhistorischen und soziokulturellen Nachwirkungen des Magnetismus über das Schaffen und Schreiben Franz Anton Mesmers hinaus sind nicht Gegenstand dieser Arbeit. Der Geschlossenheit der Darstellung halber sollen einige Aspekte gleichwohl angeführt werden.
Heinz Schott formuliert drei Hauptgebiete des Einflusses von Franz Anton Mesmer auf die Medizin: die sogenannte tiefenpsychologische Wende der romantischen Medizin, welche den Mesmerismus als Anstoß nahm, nach der verborgenen Seite der menschlichen Natur zu forschen. Die psychologischen und psychosomatischen Dimensionen rücken ins Blickfeld der Ärzte. Zweitens initiiert der Mesmerismus die psychotherapeutische Wende und Einführung des „Hypnotismus“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, bis zur Einführung der Suggestionstheorie durch Hippolyte Bernheim (1840 – 1919), Professor für Medizin und Internist sowie geistiger Führer der Schule von Nancy (vgl. Weitzenhoffer 1995). Drittens führen einige von Mesmers Ideen und seine Praxis direkt zu der von Freud unternommenen Synthese: beispielsweise kann man beschreiben wie es vom Mesmerschen Begriff der ‘Mittheilung’ (der magnetischen Energie) in einer Art Energieumkehrung zu Freuds Begriff der ‘Übertragung’ kommt (Schott 1985, p. 248).
Der Amerikaner Robert Fuller formuliert des weiteren einen weitreichenden Einfluss des – in Amerika spätestens seit Beginn der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts enorm starken – Mesmerismus auf die Entwicklung der Psychologie als akademischem Fach. So habe dieser das öffentliche Interesse an der Unterstützung psychologischer Forschung wesentlich miterzeugt. Ferner habe er dem lesenden Publikum eine bestimmte Sicht des ‘Unbewussten’ nahe gelegt, die von der Freud’schen Interpretation (oder Definition) insofern abwich, als sie nicht nur ‘niedere’ Impulse und Triebe dort ansiedelte, sondern dieses ‘Unbewusste’ daneben ‘höherer’ – heilsamer, energetisierender, kreativer – Regungen für fähig hielt (Fuller 1985).
Rechnet man all diesen Argumenten den Einfluss des Mesmerismus auf die Gebiete der Literatur, der Parapsychologie, Bühnenhypnose, des Geistheilens und nicht unwesentlich auf die religiösen Bewegungen des 19. Jahrhunderts hinzu, so darf man Mesmers Wirken mit Recht als bemerkenswert betrachten.
Anhang 1
Beschreibung einer Mesmerschen Gruppenbehandlung während seiner Pariser Zeit. Literarische Verarbeitung des Züricher Arztes und Magnetiseurs Emil Schneider aus zeitgenössischen Quellen (Schneider 1950).
“Auf ein gegebenes Zeichen bildeten die Kranken die magnetische Kette, indem sie sich gegenseitig mit den Spitzen der Daumen und Zeigefinger berührten und so den Kontakt im gezogenen Kreise unter sich herstellten. Mit wachsender spannung und erregung erwarteten sie das erscheinen des Meisters. durch tief verhängte fenster drang spärlich gedämpftes Licht in den Raum, schwere Teppiche und Wandvorhänge verschlangen die seltenen Laute und erhöhten das Schweigen und die erwartung. Die Erregung und fieberhafte spannung lag elektrisch in der Luft. An den Wänden hingen Spiegel, aus denen verwirrend die Szenen am Baquet in ihrem Doppelspiel schauten. Sonst war tiefatmendes Schweigen, nur hin und wieder von einem Seufzer unterbrochen. Auf einmal drangen vom Nebenzimmer herüber sanfte Akkorde des Klaviers, ein leichter Dhor oder Mesmers Glasharmonika, bald beruhigend, bald aufreizend, bis die Spannung gesättigt und zum Überlaufen geladen war. Endlich trat Mesmer herein, langsam, ruhig, ernst und durch die Kette der Kranken zitterte die erste sichtbare Erregung. Mesmer trug oft ein langes lila- oder purpurfarbiges Seidenkleide wie ein Priester oder ein Magier und schritt langsam auf die schweratmende, bebende Kette zu, befragte leise den einen nach seinem Befinden, bestrich den andern mit seinem Magnetstab, während er seinen blick tief in die Augen des Patienten versenkte. Einen berürte er überhaupt nicht, sondern zog in einiger Entfernung von ihm Kreise und Striche in die Luft. Bald traf er einen Kranken, der bei seiner berührung in eine Krise verfiel, zu schreien, zu stöhnen, zu schwitzen begann und also bald brach oft plätzlich der Bann des erregten Schweigens. Die Krise sprang da und dort über (…). Die am heftigsten zu toben anfingen und schrien, wurden unauffällig in den Krisensaal geführt, wo sich Hilfskräfte des Meisters um ihre Beruhigung bemühten. Man sah in jeder Baquetbehandlung Kranke auf den Meister zueilen und sich für gesund erklären, andere, die ihn um verstärktes Magnetisieren baten oder ihm für die Hilfe auf den Knien dankten.”
Referenzen
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Geschichte der Medizin – Die Entwicklung der Psychotherapie von “magischen und metaphysischen Theorien” zur evidenzbasierten Praxis
Was kann die Medizin aus ihrer historischen Begegnung mit dem “thierischen Magnetismus” lernen? Wie würde sie auf esoterische und metaphysische Theorien reagieren, die sich HEUTE um eine ansonsten “rationale” und effektive Therapie entwickeln?
Wer sich mit Person, Werk und Wirkgeschichte Franz Anton Mesmers beschäftigt steht vor der Schwierigkeit, mit einer Persönlichkeit konfrontiert zu sein, die in ihrem Facettenreichtum schwerlich in ein einheitliches Bild zu zwingen ist. Mesmer scheint sich diesem Versuch ihn zu greifen leichtfüssig, gleich einem seiner vielbeschworenen Fluida, zu entziehen.
Franz Anton Mesmer gab Anstösse für die unterschiedlichsten Disziplinen und Topoi. Als Beispiele seien hier genannt: die Entwicklung der Anästhesie, der Psychiatrie, der Psychosomatik, des Hypnotismus und der Psychotherapie. – Für die soziologische Herausbildung letzterer ist sein unbeabsichtigter Einfluß nicht zu unterschätzen. Darüber hinaus jedoch wirkten seine Lehren auf den Gebieten der Parapsychologie, des Spiritismus, der über Amerika nach Europa zurückkehrte, des Geistheilens, der Bühnenhypnose sowie auf umfangreiche Weise in der Literaturgeschichte, vor allem der deutschen Romantik.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
- Die Entstehung des Mesmerismus: eine europäische Vita.
- Theorie und Methode des Animalische Magnetismus – oder die Harmonie der
Körper - Mesmers als magischer Aufklärer. Discours sans la méthode oder die Provokation des Mesmerismus
- Schlussbetrachtung
- Anhang 1 Eine “mesmeristische” Gruppentherapie
- Referenzen
Geschichte der Medizin – Die Entwicklung der Psychotherapie von “magischen und metaphysischen Theorien” zur evidenzbasierten Praxis
Was kann die Medizin aus ihrer historischen Begegnung mit dem “thierischen Magnetismus” lernen? Wie würde sie auf esoterische und metaphysische Theorien reagieren, die sich HEUTE um eine ansonsten “rationale” und effektive Therapie entwickeln?
Wer sich mit Person, Werk und Wirkgeschichte Franz Anton Mesmers beschäftigt steht vor der Schwierigkeit, mit einer Persönlichkeit konfrontiert zu sein, die in ihrem Facettenreichtum schwerlich in ein einheitliches Bild zu zwingen ist. Mesmer scheint sich diesem Versuch ihn zu greifen leichtfüssig, gleich einem seiner vielbeschworenen Fluida, zu entziehen.
Franz Anton Mesmer gab Anstösse für die unterschiedlichsten Disziplinen und Topoi. Als Beispiele seien hier genannt: die Entwicklung der Anästhesie, der Psychiatrie, der Psychosomatik, des Hypnotismus und der Psychotherapie. – Für die soziologische Herausbildung letzterer ist sein unbeabsichtigter Einfluß nicht zu unterschätzen. Darüber hinaus jedoch wirkten seine Lehren auf den Gebieten der Parapsychologie, des Spiritismus, der über Amerika nach Europa zurückkehrte, des Geistheilens, der Bühnenhypnose sowie auf umfangreiche Weise in der Literaturgeschichte, vor allem der deutschen Romantik.
Geschichte der Medizin – Die Entwicklung der Psychotherapie von “magischen und metaphysischen Theorien” zur evidenzbasierten Praxis
Was kann die Medizin aus ihrer historischen Begegnung mit dem “thierischen Magnetismus” lernen? Wie würde sie auf esoterische und metaphysische Theorien reagieren, die sich HEUTE um eine ansonsten “rationale” und effektive Therapie entwickeln?
Wer sich mit Person, Werk und Wirkgeschichte Franz Anton Mesmers beschäftigt steht vor der Schwierigkeit, mit einer Persönlichkeit konfrontiert zu sein, die in ihrem Facettenreichtum schwerlich in ein einheitliches Bild zu zwingen ist. Mesmer scheint sich diesem Versuch ihn zu greifen leichtfüssig, gleich einem seiner vielbeschworenen Fluida, zu entziehen.
Franz Anton Mesmer gab Anstösse für die unterschiedlichsten Disziplinen und Topoi. Als Beispiele seien hier genannt: die Entwicklung der Anästhesie, der Psychiatrie, der Psychosomatik, des Hypnotismus und der Psychotherapie. – Für die soziologische Herausbildung letzterer ist sein unbeabsichtigter Einfluß nicht zu unterschätzen. Darüber hinaus jedoch wirkten seine Lehren auf den Gebieten der Parapsychologie, des Spiritismus, der über Amerika nach Europa zurückkehrte, des Geistheilens, der Bühnenhypnose sowie auf umfangreiche Weise in der Literaturgeschichte, vor allem der deutschen Romantik.